Würde ohne Krawatte: eine modepolizeiliche Posse im Bundestag

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Alexander Süßmair ist Beauftragter für Tierschutz und Sprecher für den ländlichen Raum in der Linksfraktion. Der Bundestagsabgeordnete gehörte bisher zu den weniger bekannten Parlamentariern. Das will der Ältestenrat des Hohen Hauses nun offenbar ändern. Der Augsburger wurde jetzt als Schriftführer abgelöst, weil er bei seiner Arbeit keine Krawatte getragen hat. Die modepolizeiliche Posse hat ihre Vorgeschichte:

Schon im Dezember hatte deren Obmann den männlichen Schriftführern mitgeteilt, sie fortan nur noch einzuteilen, wenn sie eine Krawatte tragen – nur mit diesem Accessoire entspreche ihre Kleidung der „Würde des Hauses“. Der Linkenabgeordnete Andrej Hunko, auch er einer der etwa 40 Schriftführer, die an Sitzungstagen links und rechts neben den jeweils amtierenden Präsidenten vorn im Bundestag sitzen und zum Beispiel Anträge entgegen nehmen sowie Rednerlisten führen, hatte seinerzeit erklärt, sich nicht an diese Anordnung zu halten. Dies sei für ihn eine Angelegenheit von „sowohl persönlicher als auch politischer Natur“. Er vertrete zuallererst die Interessen und auch die Würde der Bürger und werde sich „elitären Anachronismen“ wie dem Krawattenzwang keineswegs unterordnen. Also ließt ihn Schriftführer-Obmann Jens Koeppen von der CDU von der Liste der Schriftführer streichen.

Weil Süßmair es ebenso mit den Krawatten hielt, traf ihn nun auch die angedrohte Ablösung. Statt seiner nahm am Donnerstag die Parteifreundin Agnes Alpers auf dem Schriftführer-Stuhl Platz: bekleidet unter anderem mit einer roten Krawatte. Die Parlamentsgeschäftsführerin der Linken, Dagmar Enkelmann, sprach von einer „absurden Debatte“ über das „überflüssigste Kleidungsstück der Welt“. Die “männlichen Abgeordneten” der Linksfraktion, die als Schriftführer tätig sind, würden „auch künftig in freier Gewissensentscheidung selbst bestimmen, ob sie bei ihrer Arbeit Krawatte tragen oder nicht“. Neben Süßmair bliebe da nur noch Hunko.

Ebenfalls ein Krawattenproblem hat übrigens Sven-Christian Kindler von den Grünen: Der darf auch nicht mehr als Schriftführer tätig werden, weil er keinen Schlips tragen möchte. Sein Parlamentsgeschäftsführer Volker Beck hat erklärt, man halte den Krawattenzwang ebenso wie die Linke für unangemessen. Die rot-grüne Koalition der anderen Art wird sich früher oder später durchsetzen - spätestens, wenn den anderen Fraktionen diese sehr krawattige Art von verstockter Belehrung selbst peinlich wird. Andrej Hunko hatte in diesem Zusammenhang an den Auftritt von Lenelotte von Bothmer erinnert, die am 15. April 1970 im Hosenanzug im Bundestag auftrat. „Die damalige Empörung“, hieß es in dem Brief an Schriftführer-Obmann und Parlaments-Präsidium, „beschädigte in der Tat die Würde der Demokratie.“ Und nicht die Kleidung von irgendwem.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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