Wer die Disco überlebt, überlebt das Fitnessstudio auch." Das sagt einer, der es wissen muss. Kein zirkeltrainingsbesessener Technofreak, den durchtanzte Nächte an die Grenzen seiner körperlichen Kapazitäten gebracht haben, sondern einer, der beide Orte, den Club und das Studio, als Arbeitsplatz kennen gelernt hat. Bevor Ralf Schröder im November 2000 im Fitnessstudio Axxel in Schöneberg angestellt wurde, hat er unter anderem auch schon als Türsteher einer Diskothek gearbeitet. Beides passt gut zu ihm, denn seine stämmige, durchtrainierte Figur, die kräftigen Unterarme samt beeindruckender Tätowierungen und das markante Gesicht sind sowohl geeignet, unliebsamen oder streitlustigen Partygästen Respekt einzuflößen, als auc
Kultur : Hier regiert das pure Vergnügen
Ralf Schröder, Fitnesstrainer
n, als auch fitnessbegeisterten Studiobesuchern das (Vor-) bild eines Sportlerkörpers zu bieten. Ralf ist sportlich durch und durch, und wenn er sich selbst verlegen auf den Bauch klopft und behauptet, der habe ein wenig mehr Training dringend nötig, zeugt das wohl weniger von Koketterie, als von Bescheidenheit.Sein Job als Türsteher war nicht der erste, der ihn zum Nachtarbeiter gemacht hat. Er hat schon Schichtdienst im Vierertakt geschoben, und auch seine Arbeit im Fitnessstudio übt er nachts aus. Denn das Axxel in der Bülowstraße ist eines der wenigen Fitnesscenter in Berlin, das rund um die Uhr geöffnet ist, jede Nacht, anders als die Konkurrenz im relativ neu eröffneten Studio am Hermannplatz, wo in vier Nächten pro Woche trainiert werden kann.Seit Februar 2000 bietet das Axxel, das seit zwei Jahren existiert, seinen Kunden diesen Service. Für den Geschäftsführer Hans Acksteiner eine Selbstverständlichkeit. Berlin, so meint er, sei nun mal "durchgehend geöffnet", und also müsse man auch Sport treiben können, wann man wolle. Ihn selber haben die begrenzten Öffnungszeiten der Studios, in denen er trainiert hat, oft gestört und nicht selten vom Training abgehalten. Ein rund um die Uhr geöffnetes Studio bietet eine Ausrede weniger und ein Stück Freiheit mehr.Der Nacht-Job im Studio gefällt Ralf besser als seine bisherigen. Die Arbeit im wechselnden Schichtdienst hat ihn körperlich sehr belastet, und deshalb ist er froh, dass in seinen Alltag eine gewisse Regelmäßigkeit eingekehrt ist. Vier Mal die Woche kommt er nun von 22 Uhr bis 8 Uhr nach Schöneberg, um die Gäste des Fitnessstudios zu betreuen. Er ist dann der einzige Angestellte in den weitläufigen Räumen, aber Angst, während der Arbeitszeit überfallen zu werden, hat er nicht. Er weiß, dass er gegebenenfalls in der Lage wäre, streitlustigen Kunden ihre Grenzen aufzuzeigen, und dass die es sich zweimal überlegen würden, ob sie sich mit ihm anlegen wollen. Dass es sich auszahlt, seine Kundschaft auszuwählen, zeigt das Beispiel eines anderen Berliner Fitnessstudios, wo, so heißt es, kurz nach der Eröffnung aggressive Mitglieder für Unruhe sorgten. Aber solche Kunden würden hier erst gar nicht aufgenommen, sagt Ralf. Auch für die Gäste des Studios ist Sicherheit kein Thema, niemand fühlt sich unsicher und ernsthafte Zwischenfälle hat es noch nie gegeben. Gerade die entspannte Atmosphäre ist es, die Ralf an dem Job so schätzt: Denn als er noch als Türsteher gearbeitet hat, war er oft Zielscheibe von Aggressionen. Disco ist eben härter als Studio.Nachtarbeit bleibt trotzdem eine Strapaze. Auch wenn der Rhythmus der Arbeit regelmäßiger ist als im Schichtdienst, spürt Ralf die Auswirkungen. Der Körper wisse sehr wohl, dass er nachts eigentlich schlafen solle, sagt er, man müsse ihn eben überlisten. Nun ist Ralf dazu gezwungen, die Nacht im Fitnessstudio zu verbringen, weil er damit sein Geld verdient. Warum aber trainieren viele Menschen nachts, wo doch alle medizinischen Erkenntnisse über den menschlichen Bio-Rhythmus dafür sprechen, dass die Nacht für sportliche Aktivitäten wenig geeignet ist? Klar, weniger Power habe man nachts auf jeden Fall, meint Ralf, aber dann könne man es ja einfach ein wenig ruhiger angehen lassen. Und die Lebens- und Berufsrealität vieler Menschen lässt sich nun einmal mit sportmedizinischen Studien oft nicht in Einklang bringen. Viele, weiß Ralf, die nachts kommen, haben einen Arbeitsrhythmus, der ihnen tagsüber keine Zeit lässt und sind froh über die Möglichkeit, sich nachts ihren körperlichen Ausgleich zur Arbeit zu verschaffen. Rund hundert Gäste kommen in einer Nacht. Ralf kennt die meisten, die regelmäßig nachts trainieren, und mit vielen wechselt er ein paar freundliche Worte. Taxifahrer und Angestellte des Gaststättengewerbes bilden die Mehrzahl der nächtlichen Kunden, aber auch viele Studenten seien dabei, meint Ralf, weil die eben "zeitlos arbeiten". Zu seinen Lieblingskunden gehören zwei ältere Damen um die 55, die jeden Morgen zwischen fünf und sechs Uhr per Motorrad angereist kommen, um ihr Training zu absolvieren.Ralf ist nicht der einzige, der arbeitet, wenn er nachts im Studio steht. Schließlich leisten auch die Gäste, die unter der Last der Geräte schwitzen, harte Arbeit. Oder, wie es im Mutterland der Fitnessbewegung heißt, sie betreiben "work out" - Abschuften und Auspowern. Reine Schinderei ist heutzutage aber out, stattdessen bieten Studios ein umfassendes Fitness-Konzept an, das Training und Wellness mit dem Ziel kombiniert, das Körperbewusstsein der Kunden zu stärken und ihr Wohlbefinden zu erhöhen. Dazu gehört, dass sie sich nach dem Training in Sauna und Solarium erholen können. Die Plackerei soll sich nicht wie Arbeit anfühlen. "Arbeit? Gearbeitet wird hier nicht, hier regiert das pure Vergnügen", sagt der Chef immer. Und Ralf sieht das auch so: "Für die Leute ist das körperlicher Ausgleich, die entspannen sich, wenn sie zum Training kommen." Er selbst kann das gut verstehen, denn auch für ihn ist Sport der ideale Ausgleich. Und das heißt vor allem Abwechslung von der ruhigen Routine des Arbeitsalltags. In seiner Freizeit sucht Ralf die Herausforderung beim Kickboxen, Tauchen und Fallschirmspringen.Der 24-Stunden-Service in Sachen Fitness ist aus den USA importiert, nach den Nachttanken und Videotheken eine weitere Ausweitung des Dienstleistungsangebots. So gehört das Studio am Hermannplatz zu einer Kette, die von der US-Fitness-Ikone Cindy Crawford mitbetrieben wird, die das Studio dann auch medienwirksam eröffnet hat. Ein Auftritt, den der gescheiterte Plan eines Cindy-Gegners, der Zeremonie mit einem Transparent der Aufschrift "Cindy ist dick!" beizuwohnen, sicher kaum beeinträchtigt hätte. Fitnessstudios sind die Tempel des "Work-out", und Vorzeigekörper wie der von Cindy die ideale Projektionsfläche für Träume von makelloser Schönheit und unverwüstlicher Fitness.Solcher Kult ist den Betreibern des Studios in Schöneberg fremd. Und sie sind bei der Auswahl ihrer Mitglieder wählerisch. Hier trainieren keine fanatischen Bodybuilder und keine rauflustigen Kerle, die sich die Muskeln für den Nahkampf zulegen wollen. Es tummeln sich nur wenige Luxuskörper an den Geräten, stattdessen eine bunte Mischung Fitnesswilliger aller Altersgruppen und Nationalitäten. Jeder einzelne soll hier so trainieren, dass es ihm gut tut. Und das Glücksversprechen hat sich schon erfüllt, wenn ein Junge strahlend erzählt, in einem Monat unter Ralfs Anleitung fünf Kilo abgenommen zu haben.Die Mitglieder, die nachts kommen, haben tagsüber mit den ausgebildeten Trainern des Studios bereits einen Trainingsplan erstellt und kennen die Abläufe. Ralf erklärt höchstens mal ein paar Geräte oder nimmt kleinere Reparaturen an den "Maschinen", wie er sie nennt, vor. Außerdem hält er Pflaster bereit, das aber nicht oft zum Einsatz kommt. Nachts wie auch tagsüber ist das Verletzungsrisiko sehr gering. Am Counter versorgt er seine Gäste mit Powerriegeln und Spezialgetränken, die vor allem hoch eiweißhaltig sind. Gerade nachts sind Eiweiße wichtig, um den körperlichen Leistungsabfall aufzufangen. "Sinnvolle Nahrungsergänzung" nennt das Ralf, und so mancher ausgepowerte Fitnessfreak ist dankbar für das Angebot. Auch Ralf gönnt sich zwischendurch mal einen Powerriegel, um fit und wach zu bleiben. Vor dem Arbeiten isst er etwas Leichtes, bloß keine Spaghetti, weil die ihn zu schlapp machen.Wer nachts trainiert, der will sich körperlich verausgaben, bringt den Körper auf Hochtouren, genau wie die, die nächtelang durchtanzen. Den Rhythmus dieser Bewegung gibt die Musik vor, in der Disco wie im Studio. Manchmal kommt sich Ralf wie ein DJ vor, denn rund um die Uhr läuft Musik, und er kennt inzwischen sowohl die hauseigenen CDs als auch die jeweils aktuellen Top Ten aus dem Radio in- und auswendig. Immer wieder kommen Gäste und bitten ihn darum, die Musik lauter oder leiser zu drehen, äußern spezielle Wünsche, bringen ihre Lieblingsmusik mit. Wenn es irgendwie geht, erfüllt Ralf diese Wünsche. Aber ihn selbst stresst die Dauerberieselung, und wenn das Studio mal leer ist, schaltet er die Anlage kurz ab, um sich einen Moment Stille zu gönnen.Ralf genießt die nächtliche Ruhe, auch wenn sie einschläfernd sein kann. Zwischen drei und fünf Uhr morgens ist besonders wenig los, und dann kommt es schon mal vor, dass er selbst zu den Hanteln greift, um seine Müdigkeit zu überbrücken.Auf die Frage, ob er einen besonderen Reiz darin sähe, nachts zu arbeiten, schüttelt Ralf bloß den Kopf. Nein, einen besonderen Kick gibt ihm das nicht, und wenn er es sich aussuchen könnte, würde er auch gerne tagsüber arbeiten. Aber er mag seinen Job und würde ihn im Moment nicht gegen einen anderen tauschen, er hat mit Sport zu tun und mit Menschen, und das gefällt ihm gut. Allerdings gibt er zu, dass Privatleben und Nachtarbeit für ihn durchaus schwierig zu vereinbaren seien. Was seine Freundin von seinem Arbeitsrhythmus hält, sagt er nicht. Auf jeden Fall kümmert er sich um seinen 12-jährigen Sohn, der genauso sportbegeistert ist, wie Ralf selbst.Das Eigentümliche an der nächtlichen Arbeit, erklärt er, sei, dass man einen völlig anderen Lebensrhythmus habe als die meisten Menschen, und sich deshalb manchmal das Gefühl einschleiche, als lebe man in einer anderen Welt. Wenn er nach der Nachtschicht nicht zu müde ist, trainiert er ab und zu noch eine Runde. Und wenn er dann von der Arbeit kommt, sind alle anderen gerade auf dem Weg dorthin. Manchmal findet Ralf es schade, dass er sein Feierabendgefühl nicht mit einem Bier besiegeln kann, wie die, die nach getaner Arbeit in die Kneipe gehen. Aber mit einer Bierdose morgens in der S-Bahn, das traut er sich dann doch nicht. Schließlich möchte er nicht für einen Alki gehalten werden. Stattdessen fährt er nach Hause, geht mit dem Hund spazieren, legt sich vier bis fünf Stunden schlafen und hat dann Freizeit bis abends um 22 Uhr, wenn die nächste Schicht beginnt.