Lauschangriff 25/08

Musik Man nimmt an, dass Künstler immer darum bemüht sind, gute Arbeit zu leisten. Und nicht gestehen würden, wenn ein Album nicht so grandios wie gedacht ...

Man nimmt an, dass Künstler immer darum bemüht sind, gute Arbeit zu leisten. Und nicht gestehen würden, wenn ein Album nicht so grandios wie gedacht geraten ist. Primal Scream aus Glasgow in Schottland ticken anders. Sie betrachten es als ihr gutes Recht, eine "schlechte" Platte zu machen, damit sie neue Energie schöpfen können, um wieder ein herausragendes Album zu schaffen. Diese Haltung haben sie zwar nie verkündet; es ist meine Interpretation, aber sie erscheint mir zutreffend.

1991 veröffentlichten Primal Scream zum Beispiel das innovative Rave-Meisterwerk Screamadelica, um im Anschluss das Rolling-Stones-Pastiche Give out but don´t give up herauszubringen. Es gab im Jahr 2000 den Technopunk-Meilenstein XTRMNTR, und 2006 das völlig absurde Rolling-Stones-Pastiche Riot City Blues. Primal Scream scheuen musikalisch die Drastik nicht, was nicht heißt, dass sie ihm Extremen anzusiedeln wären. Vanishing Point (1997) und Evil Heart (2002) haben gezeigt, dass die Band in der Lage ist, Zwischentöne zu treffen.

In diese Kategorie passt auch das aktuelle Album Beautiful Future. Es ist das neunte Werk der Band, die 1982 gegründet wurde. Der Kopf der Gruppe, Bobby Gillespie, beschreibt die neuen Songs als "einen Kugelhagel mit Zuckerguss". Der größte Teil des Albums entstand in Stockholm im Studio, in dem Abba Dancing Queen aufnahmen. Björn Yttling von der schwedischen Popband Peter, Björn und John hat die meisten Stücke produziert, und er sorgt für einen Glanz, der dennoch verschwommen erscheint wie ein Sommertag mit ziemlich dichten Wolken und wenig klarem Sonnenschein: "Take a Ride into the City and tell me what you see, empty Houses, burning Cars", singt er auf dem Titelstück, wobei der düstere Text in krassem Widerspruch zu der beschwingten Popmelodie steht.

Gillespie will auch mit 46 immer noch bedrohlich klingen, was nicht selten an Selbstparodie grenzt: "I stuck a Needle in my Aarm, I stuck it in my Baby´s Heart, she looked so hot und sexy", singt er in Can´t go back. Das ist ein lächerlicher Text für einen Familienvater, der mittlerweile gutbürgerlich lebt. Als ich ihm 1991 begegnet bin, konnte man Drogengeschichten und Musik nicht trennen, aber heute entspricht Can´t go back seinem Lebenswandel einfach nicht mehr. Man könnte das eine anhaltende kindliche Begeisterung für den Lebensstil des Rock nennen; ich hatte mich schon immer darüber gewundert, wie Gillespie als erwachsener Mann für das Seidenhemd von Led Zeppelins Jimmy Page schwärmen konnte. Gillespie ist ein solch großer Rockfan, dass es vielleicht verwunderlich ist, dass er überhaupt Musiker geworden ist und nicht nur DJ oder Musikjournalist - so groß ist sein Respekt vor Habitus und Geschichte der Rockmusik. So überrascht uns der Fan in Gillespie immer wieder; diesmal mit einer Coverversion von Fleetwood Macs Over over, Backing Vocals: die Folksängerin Linda Thompson.

Selbst ihre Vorliebe für die Rolling Stones haben Primal Scream äußerst engagiert unter Beweis gestellt. Man kann also nicht sagen, dass sie ob ihrer Unbeständigkeit gleichgültig wirkten. Und man kann auch nicht sagen, dass diese Unbeständigkeit etwas mit den personellen Wechseln in der Band zu tun hatte. Primal Scream ist eine Band, die immer wieder neue Mitglieder vorweisen konnte, aber deren kreativer Kern seit 20 Jahren aus Bobby Gillespie und dem Gitarristen Andrew besteht.

Es gibt auf Beautiful Future einige Höhepunkte, die darauf hindeuten, dass es der Band an Inspiration nicht fehlt. Uptown ist eine reizvolle Disco-Nummer zwischen Chic und Prince, das elektronische Stück I love to hurt, you love to be hurt ist ein beklemmend erotisches Lied mit Harmoniegesang von Lovefoxx von der Band CSS. Und dann gibt es das Gastspiel von Josh Homme (Queen of the Stone Age), der in dem Titel Necro Hex Blues mit Andrew Innes zusammen jammt, dass wir die Sache mit der Drastik nicht vergessen. Es ist, wie es war: Trotz allem bleiben Primal Scream interessant.

Primal Scream Beautiful Future (Warner)

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