So voller Segen

Kulturpreis Navid Kermani hat den Hessischen Kulturpreis aberkannt bekommen. Das ist keine Privatsache vernagelter Kirchenmänner, sondern ein Schlag für den interreligiösen Dialog

Politische Gebilde, die etwas auf sich halten, verteilen Orden oder wenigstens Kulturpreise. Auch das Land Hessen vergibt einen mit 45.000 Euro dotierten Kulturpreis. In diesem Jahr sollten ihn Peter Steinacker, ehemaliger Präsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Karl Kardinal Lehmann, Salomon Korn, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und der 1924 geborene Fuat Sezgin erhalten. Sezgin stammt aus der Türkei, ist Muslim und ein weltweit renommierter Experte für die Geschichte der Naturwissenschaften.

Ministerpräsident Roland Koch (CDU) begründete die Wahl der vier Preisträger mit dem Hinweis auf deren Engagement „für den religionsübergreifenden Dialog in Deutschland“ und „ihr Eintreten für einen respektvollen Umgang zwischen den Glaubensgemeinschaften.“ Soweit die guten Absichten.

Fuat Sezgin misstraute dem Versöhnungsspektakel. Er hat nicht vergessen, wie Salomon Korn den jüngsten Krieg der israelischen Armee gegen die palästinensische Zivilbevölkerung und das Apartheid-Regime in den besetzten Gebieten öffentlich vorbehaltlos rechtfertigte. Zusammen mit Korn wollte Sezgin den Preis nicht empfangen.

Kuratorium und Staatskanzlei suchten nun einen muslimischen Ersatzmann und klopften bei dem aus dem Iran stammenden Schriftsteller und Essayisten Navid Kermani an. Der sagte sofort zu unter der Bedingung, dass er „die Möglichkeit habe, bestehende Differenzen bei der Preisverleihung anzusprechen“ und zwar Differenzen „mit Herrn Korn“ und „mehr noch mit dem hessischen Ministerpräsidenten Koch.“ Damit hatte die Staatskanzlei kein Problem. Das Datum für die Preisverleihung stand schon fest.

Da hatte man allerdings die Rechnung ohne die beiden Christen Steinacker und Lehmann gemacht. Die entdeckten nämlich in der Neuen Zürcher Zeitung Kermanis Beschreibung von Guido Renis (1575-1642) Kreuzigungsbild in einer römischen Kirche. Steinacker und Lehmann sahen in Kermanis Text „fundamentale und unversöhnliche Angriffe auf das Kreuz als zentrales Symbol des christlichen Glaubens“ und drohten damit, den Preis nicht anzunehmen.

Kermanis „Angriffe“? Er fand das Kreuzigungsbild „so berührend, so voller Segen, dass ich am liebsten nicht aufgestanden wäre. Erstmals dachte ich: Ich – nicht nur: man –, ich könnte an ein Kreuz glauben.“ Strenggläubige Muslime könnten das als Ketzerei betrachten, aber die beiden Christen Lehmann und Steinacker brachen den „Dialog“ ab, bevor er beginnen konnte. Bedenkenlos begibt sich Rom ins Gespräch mit den stockreaktionären, tendenziell antisemitischen Piusbrüdern, verweigert aber dem aufgeklärten Muslim Kermani den Dialog.

Man könnte dieses seltsame Toleranzverständnis als Privatsache vernagelter christlicher Kirchenmänner abtun, wenn sich nicht auch Kuratorium und Ministerpräsident dahinter verstecken würden. Zuerst sondierte die Staatskanzlei bei Kermani, ob er seinen Artikel nicht „erläutern“ oder „einordnen“ könnte, um Lehmann und Steinacker zu besänfigen. Kermani lehnte das selbstverständlich ab. Früher waren die Kirchenleute wenigstens ehrlich: Widerruf oder Scheiterhaufen! Daraufhin wurde Kermani der Kulturpreis aberkannt, was er allerdings nicht aus der Staatskanzlei, sondern von einem Journalisten erfuhr. Zum Trost lud ihn Koch dafür zu einer Podiumsdiskussion ein. Ein Abgrund von Herablassung und Verhöhnung öffnet sich – und Koch babbelt von „respektvollem Umgang“. Nun werden die arroganten Christenleute unter sich bleiben bei ihrem „religionsübergreifenden Dialog“, und Koch moderiert das Schmierentheater.


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