Die Theaterkritik ist umgezogen!

Medien Theaterrezensionen im Netz - das klickt doch keiner, oder? An dem kleinen Internetportal "nachtkritik.de" wird der Konflikt zwischen Print und Online sichtbar

Der Kampf von alter und neuer Welt erreicht nun auch die entlegenen Gebiete. Es sind karge Gegenden, die ohne Subventionen nicht lebensfähig wären und vom Kernland nur noch aus Tradition leidlich bewirtschaftet werden. Wie abgeschrieben sie sind, zeigte sich in dieser Woche anhand jener Rubrik im Print-Feuilleton der Süddeutschen Zeitung, die „Nachrichten aus dem Netz“ heißt. Sie war aber im Netz nicht zu finden. Man kann sich vorstellen, was sich der Redakteur von sueddeutsche.de in dem Augenblick gedacht hat, als er las, was die „Nachrichten aus dem Netz“ in dieser Woche vermelden: Neues vom Theater. Theater? Klickt doch keiner!

Weil er damit vermutlich nicht falsch liegt, weil die gute alte Theaterrezension auch bei copy tests von Zeitungen weit hinten landet, weil überregionale Theaterkritik mit teuren Reisen verbunden ist, und weil sich, ehrlich gesagt, auch in großen Feuilletonredaktionen nur wenige Kollegen fürs Theater ernsthaft erwärmen, schwindet der Platz, werden die Texte selten online gestellt. Und weil das so ist, konnte es dazu kommen, dass nun der Konflikt zwischen Print und Online an einem kleinen Internetportal namens nachtkritik.de sichtbar wird. Deren Macher bemühen sich, einen Überblick über das deutschsprachige Theater zu bieten: mit eigenen Kritiken, mit einer Übersicht über das, was „die anderen“ schreiben und dem Nacht­kritik Forum. Vor allem mit diesem Forum haben die lieben Kollegen aus den Print-Redaktionen so ihre Probleme. Es wird mal als „Geschrei der schrillsten Art“ (Spiegel) und mal als „Krawallarena zur öffentlichen Triebabfuhr“ (SZ) bezeichnet, wobei das Geschrei deutlich weniger geworden ist, Beleidigungen von der Redaktion gelöscht werden. Meist geht es um Aufführungen und wie die Leser sie fanden, um kleine Skandale wie etwa Eingriffe in eine Fliegende-Holländer-Inszenierung in Leipzig (Videos von Tierschlachtungen wurden entschärft), aber auch um die Kriterien für eine Kritiker-Rangliste nach Google-Treffern wird gestritten.

Nicht satisfaktionsfähig

Die Kritik aus den so genannten „Holzmedien“ selber bemängelt das Übliche: geringe Qualität der Texte, fehlende Unabhängigkeit und/oder begrenzter Horizont der Kritiker und ein Forum für anonyme Querulanten. Kurz gesagt: nicht satisfaktionsfähig. Wer sich die Seite einmal anschaut, die schon optisch wie ein Relikt aus vergangenen Web-Zeiten ist, sieht sofort die begrenzten (finanziellen) Mittel – und wer zu lesen beginnt, der findet einiges, das beim Leser eine hohe Leidensfähigkeit voraussetzt.

Warum konnte dieses Portal dennoch ein publizistischer Erfolg werden? Die Antwort lässt erstens an unseren Online-Redakteur denken, der jenseits von Weltpolitik, Sport und Vermischtem kaum mehr Platz hat. Zweitens an dessen Kollegen von der Zeitung, dem sein Hoheitsgebiet wegbröselt. Und drittens an die Macher der Fachblätter Theater heute und Theater der Zeit, die diese Chance komplett verschlafen haben. Doch das letzte Refugium für alles Sperrige wird nicht das Papier sein, sondern das angeblich so populistische Internet: Es bietet Platz, ist schnell und ideal für eine meinungsfreudige Gemeinde. Wer die Diskussion um den Tod der Zeitung verfolgt und den darin geäußerten Gedanken, man müsse die Zeitung als Kulturgut mit Subventionen unterstützen, der sieht an einem Beispiel wie nachtkritik.de, dass das Schützens- und Unterstützenswerte ganz woanders liegt.



Volker Corsten ist freier Theaterkritiker und schreibt u.a. regelmäßig für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

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