Schule der höheren Töchter

Filmkritik Verklärte Heiligendarstellung und krude Anbiederung in einem. Margarethe von Trottas neuer Film changiert zwischen klischeehafter Unterhaltung und asketischer Kunst

Obwohl der Winter noch bevorsteht, wäre es keine allzu gewagte Prognose, zu behaupten, der größte anzunehmende Regieunfall im Jahr 2009 komme am 24.September in die Kinos: Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen bringt alle Voraussetzungen mit, die ein Film haben muss, um in jeder Hinsicht zu floppen. Dabei hätte Hildegard Chancen, zur popkulturellen Ikone zu avancieren: Seit ihre musikalischen Kompositionen wiederentdeckt wurden, ihre Lehrbücher zur Pflanzenheilkunde und homöopathischen Medizin in alternativen Bücherschränken stehen und die Äbtissin zur Vordenkerin der Frauenbewegung ernannt worden ist, war es eine Frage der Zeit, bis das erste Biopic über sie die Kinos erobert.

Eine solche Eroberung aber ist Margarete von Trottas langatmigem Epos nicht zuzutrauen. Die Regisseurin hat in der pathetischen Inszenierung von Frauenschicksalen Routine: 1981 erzählte sie in Die bleierne Zeit die Geschichte der RAF anhand einer Parallelbiografie der Schwestern Christiane und Gudrun Ensslin, Mitte der Achtziger verfilmte sie das Leben Rosa Luxemburgs, indem sie die Biografie der Rätekommunistin auf deren „weibliche“ Sensibilität reduzierte. Die Titelrolle spielte schon damals Barbara Sukowa, die nun als Seherin wiederkehren darf. Ähnlich wie der Luxemburg-Film ist Vision geprägt von akribischer Genauigkeit bei der Rekonstruktion historischer Kulissen, Kostüme und Ereignisse, gepaart mit einer unüberbietbaren Witzlosigkeit. Ohne jede Brechung werden die Etappen im Leben der Mystikerin nacherzählt: Die Erfahrungen der jungen Hildegard (Stella Holzapfel), die sich im Benediktinerkloster mit dem strengen Abt Kuno (Alexander Held) konfrontiert sieht, ihr musikalisches Talent entdeckt und nach ihrem Aufstieg zur Äbtissin die Klostergemeinschaft reformiert; die Gründung des Frauenklosters Rupertsberg, wo sie mit der Novizin Richardis (Hannah Herzsprung) zusammenarbeitet. Schließlich die Krise, in die sie gerät, als Richardis’ Mutter einen Keil zwischen beide treibt. Eine Nebenhandlung erzählt von der Freundschaft mit der Nonne Jutta (Lena Stolze), die an Missgunst zerbricht.

All das inszeniert von Trotta in einer Mischung aus Hagiografie und Anbiederung, als wären die Probleme einer Äbtissin Mitte des 12. Jahrhunderts derart identisch mit den Konflikten einer beruflich erfolgreichen Frau der Gegenwart, dass es keiner ästhetischen Distanznahme bedürfte. Nicht einmal das lesbisch-feministische Moment, das eine populärkulturelle Bearbeitung zweifellos hervorgekehrt hätte, wird betont. Es ist, als solle der Kinosaal qua cineastischer Hypnosearbeit in eine sittsam-dröge Schule für höhere Töchter verwandelt werden. Entsprechend wird auf der Leinwand nicht gespielt, sondern deklamiert und geraunt, Gefühle werden nicht darstellerisch zum Ausdruck gebracht, sondern gefrieren zu Posen, ohne dass aus solcher Künstlichkeit – wie bei Dreyer oder Bresson – eine schlüssige Form entstünde. Das Ergebnis ist klischeehaft wie ein Unterhaltungsfilm, aber ohne Spannung, asketisch wie ein Kunstfilm, aber banal wie eine Fernsehproduktion. Kein Wunder, dass die Darstellerin der Rosa mühelos als Hildegard wieder auftauchen kann: Ob Kommunistin oder Äbtissin, jede „große Frau“ wird bei von Trotta zur Ikone leerer Bewunderung.


Vision. Aus dem Leben der Hildegard von Bingen Regie: Margarethe von Trotta, ab 24. September bundesweit in den Kinos

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