Eher leise als laut

Kino Auf den ersten Blick sieht Rumänien in Horatiu Malaeles Film „Stille Hochzeit – Zum Teufel mit Stalin“ aus, wie man sich Rumänien vorstellt. Auf den ersten Blick

Es gibt eine vorgeblich freundliche Art des Vorurteils: Man begegnet Menschen, die sich darüber freuen, den älteren Bruder zu kennen und dann daraus schließen, dass man selbst dieselbe Partei wähle wie der. So ähnlich ergeht es diesem rumänischen Film: Man sieht musizierende „Zigeuner“ und trinkende Dorfbewohner, hört zotige Bemerkungen und das Stöhnen eines Liebespaars im freien Feld – und denkt, man sei bei Kusturica und seiner „Balkanfolkore“.

Dabei lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Stille Hochzeit beginnt mit Schwarzweiß-Aufnahmen aus der Gegenwart und einem Schlechtwettertag irgendwo im flachen Land, wo diverse Industrieruinen jenen Grad an Verwahrlosung aufweisen, der belegt: Dies ist kein Niedergang, denn eine Blütezeit hat es hier nie gegeben. Durch diese Landschaft ökonomischer Dauerdepression fährt ein Minibus mit ein paar sarkastisch vor sich hinwitzelnden Männern. Es sind Leute vom Fernsehen auf der Suche nach ihrem nächsten Thema. „Paranormal TV“ heißt ihre Sendung. Im Bus mit ihnen sitzt ein Mann, der ein Dorf verspricht, in dem sich 1945 zum Beispiel Folgendes abgespielt hat: Es haben alle die Liberalen gewählt, gewonnen aber haben die Kommunisten. Das ist längst nicht die ganze Geschichte jenes Dorfes, das in den fünfziger Jahren abgerissen wurde, um eine Fabrik zu bauen, die jetzt wieder abgerissen wird, um das Dorf als „Freizeitressort“ zu rekonstruieren.

Dann wechselt der Film abrupt, aus ödem Schwarzweiß in die warmen Gelb- und Rottöne des Frühjahrs 1953. Es kommt jener Teil, der zunächst nach „Balkanfolkore“ aussieht: Szenen aus einem ärmlichen Dorfleben, wobei die Betonung ganz auf „Leben“ liegt: es wird getrunken, geflucht, geprügelt, geliebt, gescherzt, gestorben und geheiratet. Besonders auf Letzteres freuen sich alle: Iancu soll Mara heiraten. Nicht gleich am Sonntag, denn da kommt der Zirkus, und da am Sonntag darauf die Fastenzeit beginnt, also am Donnerstag. Ein Zeitplan, der sich als fatal erweisen wird. Denn an diesem Donnerstag, dem 5. März 1953, stirbt Stalin. Als der Hochzeitszug aus der Kirche kommt, erscheinen in Westernmanier drei gleichsam apokalyptische Reiter ohne Pferde, die jedes Feiern untersagen.

Für das, was die Dorfbewohner daraufhin tun, liefert der Film keine weitere Begründung außer der – die Tradition ist stärker als jede Anordnung. Sie warten bis zur Dämmerung, um verborgen weiterzufeiern in aller Stille. Es sind faszinierende Filmminuten, die diese stumme Hochzeit zeigen: die Reden, die nur aus Pantomime bestehen, das Anstoßen, das mit umwickelten Gläsern erfolgt, die Musik, die nur aus gestischem Spiel besteht. Zwischendurch lauscht die ganze Gesellschaft einem Geräusch: einer Fliege, die den Raum durchquert, dem Windstoß, der plötzlich von draußen hereinfegt. Oder war das doch schon die Miliz?

Von der fröhlichen Dorfhure über den gewitzten Zwerg bis hin zur verrückten Dorfschönheit scheint es in Stille Hochzeit von „Balkanklischees“ nur so zu wimmeln. Im Zusammenspiel mit einer Regie, die immer wieder zauberhaft leichte Momente in der Schwere der Volkstümlichkeit schafft, bekommt das Ganze jedoch einen Parabelcharakter, der seine Wirkung nicht verfehlt. Der Film erzählt nicht nur von der Hinrichtung eines Dorfes, sondern von der einer ganzen Kultur. Und die verwahrlosten Betonruinen, über die am Ende der Blick der Kamera schweift, gleichen auf makabre Weise einem lang aufgegebenen Friedhof.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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