Das Gezeter der Frührentner

Kino Der neue Film von Woody Allen ist sein vierzigstes Werk und bestimmt nicht sein bestes – auch wenn Larry David mitspielt

Woody Allen und Larry David, Erfinder der Fernsehserie Seinfeld, entstammen derselben amerikanischen Humor-Tradition, die untrennbar mit der jüdischen Kultur der Ostküste verbunden ist. Ihre längst überfällige Zusammenarbeit ist von Fans und Kritikern mit Spannung erwartet worden. Beide haben jeweils ein Jahrzehnt lang die Fallhöhe amerikanischen Humors definiert. Davids hysterische Seinfeld-Charaktere waren im Grunde Zuspitzungen der Figur des Stadtneurotikers, mit dem Allen in den siebziger Jahren den Prototypen des jüdischen Großstadt-Intellektuellen erfunden hatte. New York war der Ort, an dem diese feinnervigen Befindlichkeiten zusammenliefen.

Whatever Works, Allens 40. Regiearbeit, stellt für beide gewissermaßen eine Rückkehr dar. Für Allen ist es der erste New-York-Film nach fünfjährigem Arbeitsexil in Europa. David dagegen ist mit der Produktion seiner Serie Curb Your Enthusiasm längst nach Los Angeles abgewandert, wo man sich als überzeugter Misanthrop erst recht wie ein Außerirdischer vorkommen muss. Allen hat mit Whatever Works nun alles wieder an seinen angestammten Platz zurückgeholt.

Der Film hätte derart eine Frischzellenkur für Allens Stadtneurotiker bedeuten können. Leider hat das Drehbuch, das seit den siebziger Jahren in Allens Schreibtisch liegt, merklich Staub angesetzt. Schon die Eröffnung von Whatever Works stimmt Allen-Anhänger nostalgisch. David wendet sich mitten im Gespräch direkt an die Zuschauer und lässt in einem endlosen Monolog durchblicken, worauf man sich die folgenden 90 Minuten gefasst machen kann: „Ich bin kein besonders sympathischer Typ!“ Letztendlich will er es doch sein. Und vielleicht liegt genau darin das Problem dieses Gipfeltreffens zweier unverbesserlicher Nihilisten: Whatever Works wirkt über weite Strecken mehr frustriert denn erhellend, und ist dabei etwa so unterhaltsam wie das Gezeter dauerbeleidigter Frührentner auf einer Parkbank.

Davids Boris Yellnikoff ist ein gescheiterter Quantenphysiker, der nie darüber hinweggekommen ist, dass ihm der Nobelpreis verwehrt wurde, und der einen grandios mißglückten – und nicht minder bizarren – Selbstmordversuch hinter sich hat. Aus Groll auf die Welt hat er sich in sein verwahrlostes Appartment zurückgezogen. Sozial und ästhetisch ist Boris unzumutbar. Er geht in Boxershorts und T-Shirt einkaufen und nennt die Kinder, denen er in seiner Freizeit Schach-Unterricht gibt, vor den Ohren der Eltern Idioten. David, der in Curb Your Enthusiasm eine ähnliche Rolle spielt, hat gebrochen mit dem sozialen Kontrakt, den Allens Figuren noch zu wahren versuchten. Die erschienen lediglich als querulante Kultursnobs, die sich in ihrer eigenen Haut nicht wohl fühlten. David aber verfügt über die Gabe, seinen Mitmenschen durch bloße Anwesenheit körperliches Unwohlsein zu bereiten.

Whatever Works leidet jedoch unter seinen überholten Stereotypen. Das Mädchen Melody (gespielt von Evan Rachel Wood), das eines Abends auf Boris Treppe sitzt, ist eine Altherrenfantasie, wie sie spätestens seit Allens Ehe mit der Adoptivtochter nur noch bedingt komisch ist. Melodys Eltern wiederum, stramme Südstaaten-Reaktionäre, müssen erst nach New York kommen, um das wahre Leben der Großstadt-Bohème schätzen zu lernen. Ein wenig Überarbeitung hätte dem Drehbuch gut getan. David scheint das zu ahnen. Gegen Ende fragt er einmal laut, ob überhaupt noch jemand im Kino sitze.

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