Schleier der Unvernunft

Kopftuchverbot Der Streit um die Kleiderordnung für Frauen in Ägypten soll nur von der Debatte um Freiheitsrechte ablenken

Nicht nur im säkularen Europa wird über das hoch emotionale Thema islamische Bekleidung diskutiert. In Kuwait hatten Islamisten versucht, vier ins Abgeordnetenhaus gewählte Frauen am Einzug ins Parlament zu hindern, weil diese keinen Hijab (Hidscab) trugen. Das Verfassungsgericht des Landes entschied schließlich, dass die Frauen nicht dazu verpflichtet sind, die islamische Tracht zu tragen.

Auch in Ägypten ist die Diskussion in vollem Gange. Hier ist der Niqab – der Gesichtsschleier, der traditionell in den vom wahabitisch-salafitischen Islam geprägten Teilen der Golfregion getragen wird – Gegenstand der Auseinandersetzung. In den vergangenen Jahren wurde er auch im weniger konservativen Ägypten populär. Die Ausbreitung des Satellitenfernsehens sowie die jahrelange Migration an den Golf halfen, Burka und Niqab auch in arabischen Ländern zu etablieren, in denen solch extreme Formen der Verschleierung zuvor nur von Minderheiten praktiziert wurden.

Mittlerweile ist der Niqab zu einem Streitobjekt zwischen den ägyptischen Behörden und den Universitätsstudenten geworden. Zuletzt bestätigte ein Kairoer Gericht die Entscheidung der Regierung, Studenten während der Prüfungen das Tragen des Gesichtsschleiers zu verbieten, weil damit ihre Identität nicht eindeutig festgestellt werden könne und sie darin Spickzettel verstecken könnten.

Der Anwalt, der gegen das Verbot geklagt hatte, sagte gegenüber dem Fernsehsender al-Dschasira, die Entscheidung zwinge die Frauen, einen Teil ihres Körpers zu entblößen, den sie nicht entblößen wollen. Diesen Frauen werde damit das Herz gebrochen.

In einem anderen Fall hatte ein Gericht das Niqab-Verbot in einem Schlafsaal wieder aufgehoben, obwohl sich angeblich Männer unter Zuhilfenahme des Gesichtsschleiers Zutritt zu den allein Frauen vorbehaltenen Gemächern verschafft haben sollen.

Feldzug gegen den Niqab

Die zunehmend schärfer geführte Debatte ist natürlich nicht frei von politischen Überlegungen. Obwohl die Rechtsprechung in Ägypten religiös eingefärbt ist, gibt es große Spannungen zwischen der Regierung und der islamischen Oppositionsbewegung der Muslimbruderschaft. Bei den Religiösen steht die Regierung im Verdacht, aus Sorge um ihren Machterhalt einen Feldzug gegen den Niqab zu führen, da sie in ihm ein Symbol des Extremismus und einer indirekten Opposition gegen das Regime sehe. Viele gehen davon aus, dass sie den beliebten Fernsehprediger Amr Khaled, der viele zum Niqab bekehrt hatte, dazu zwang, ins Exil zu gehen.

Ich lehne Gesetze, die den Frauen eine bestimmte Kleiderordnung vorschreiben, ebenso ab wie den Niqab. Auch wenn über seine religiöse Notwendigkeit viel Uneinigkeit besteht, halte ich die Debatte für ein Ablenkungsmanöver, das von der viel wichtigeren und grundsätzlicheren Debatte über die Freiheitsrechte ablenken soll. Aber es gibt nun mal Situationen, in denen ein komplett verschleiertes Gesicht Sicherheit- und Identitätsfragen aufwirft, bei Frauen wie bei Männern gleichermaßen. Die Freiheit hat da ihre Grenzen, wo sie die Rechte anderer beschneidet.

In Ländern wie Saudi Arabien, wo die Hälfte der weiblichen Bevölkerung einen Niqab trägt und der öffentliche Raum einer strengen Geschlechtertrennung unterliegt, gibt es nur sehr wenige Situationen, in denen Frauen den Schleier in Anwesenheit von Männern abnehmen müssen, um ihre Identität nachzuweisen. An Flughäfen gibt es eine spezielle Kabine, in der Frauen ihr Gesicht vor weiblichem Sicherheitspersonal entblößen, gleiches gilt für Prüfungen, auf Banken und so weiter.

Da es in Ägypten keine offizielle Geschlechtertrennung gibt und eine solche für eine kleine Minderheit auch keinen Sinn ergeben würde, ist es die Aufgabe des Gesetzgebers, die Balance zwischen der Betrugsprävention und der Bewahrung der persönlichen Freiheit zu halten.

Ein solcher Prozess ist aber kaum frei von persönlichen und politischen Überlegungen. Es geht nie wirklich allein darum, was Frauen tragen, sondern stets um die Werte, die mit dieser Kleidung in Verbindung gebracht werden – egal, ob es der Niqab in Ägypten, der Hijab in Kuwait oder die Hosen Lubna Husseins im Sudan sind.




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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Nesrine Malik, The Guardian | The Guardian

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