Dass Thomas Brasch zur kleinen Zahl der genialen Schriftsteller in der deutschen Nachkriegsliteratur zählt, dürfte weitgehend bekannt sein. Dass er mit den vier Filmen, die er bei seinem frühen Tod 2001 hinterlassen hat, auch ein überragender Regisseur ist, der in einem Atem mit Rainer Werner Fassbinder, Wim Wenders, Alexander Kluge und dem eben verstorbenen Werner Schroeter zu nennen wäre, hat sich kurioserweise nicht herumgesprochen. Auf den Listen der 100 besten deutschen Filme, erstellt vom Deutschen Kinemathekverbund oder vom NDR, die solche Titel enthalten wie DieSupernasen, Manta Manta, Die Mädels vom Immenhof, Wenn der Vater mit dem Sohne, Schulmädchenreport oder Das Boot, taucht der Name Brasch – man glaubt es kaum – nicht auf.
Nun ha
er Name Brasch – man glaubt es kaum – nicht auf.Nun hat der Suhrkamp Verlag zusammen mit absolut MEDIEN die Filme in seiner verdienstvollen DVD-Reihe zugänglich gemacht. Und man kann sich davon überzeugen, dass es wohl außer dem Himmel über Berlin von Wim Wenders keinen Film gibt, der ein genaueres Bild von Berlin im Jahrzehnt vor dem Mauerfall entworfen hätte als die ersten zwei Filme von Thomas Brasch, Engel aus Eisen und Domino, die Assoziationen zum amerikanischen Gangsterfilm ebenso zulassen wie zu Antonioni.Auf den ersten Blick mag Der Passagier - Welcome to Germany, der vierte und letzte Film von Thomas Brasch – nach den genannten und der niederländischen Verfilmung seines Theaterstücks Mercedes – als ästhetische Zurücknahme beurteilt werden, als ein Schritt in Richtung Konvention. Wenn freilich die Verpflichtung des US-Filmstars Tony Curtis einen kommerziellen Erfolg erleichtern sollte, dann ist die Rechnung nicht aufgegangen. Brasch hatte das Angebot, diesen Film in Hollywood zu drehen. Nach dem Willen der amerikanischen Produzenten durfte der Regisseur, den Tony Curtis spielt, unter keinen Umständen sterben, er durfte den Film nicht in Deutschland drehen, weil er als Jude dort nicht wieder hingehen würde, er musste ein sympathischer Mann sein, und zwar vom Anfang bis zum Ende, und der Film musste eine Liebesgeschichte haben. Dass Brasch gegen diese Regeln verstoßen hat, ist wahrscheinlich die Ursache für seine sträfliche Unterschätzung. Im Übrigen entspricht das raffinierte Vexierspiel des Films im Film im Film keineswegs den Sehgewohnheiten. Es stürzt den Zuschauer in eine Verwirrung, die Aufschluss gibt über das Fortleben der Vergangenheit in der Gegenwart.Anders als Ost-Renegaten, die in der Bundesrepublik willkommen waren, weil sie mit ihrer Anklage gegen Honecker die lästige Abrechnung mit dem Nationalsozialismus entsorgen halfen, hat Thomas Brasch, der in der DDR im Gefängnis gesessen und für seinen Widerstand gegen den Staat bezahlt hatte, niemals vergessen, was die Nazis der Menschheit angetan haben; auch zu einer Relativierung von deren Verbrechen ließ er sich nie herab. In einem Interview, das auf der DVD enthalten ist, sagt er (und sein Gesichtsausdruck lässt keinen Zweifel daran, wie ernst es ihm ist): „Der Faschismus ist so lange her wie eine Sekunde in meinem Leben. Wenn ich die Geschichte der Menschen ansehe – so lange ist er her. Eine Sekunde ist er her.“Durchbrechung der KontinuitätAber Brasch ist zu sehr Künstler, um sich naiv in die Vergangenheit zu begeben. Er geht aus von der Gegenwart, in der Der Passagier entstanden ist, von den späten achtziger Jahren. Ein amerikanischer Jude in Berlin will einen Film drehen über die Beteiligung von KZ-Häftlingen an einem nationalsozialistischen Propagandafilm vom Typ Jud Süß, Der Führer schenkt den Juden eine Stadt oder Tiefland. Der Regisseur war selbst unter den Statisten, aber die Erinnerung verfälscht seine damalige Rolle. Er leidet unter dem Schuldgefühl derer, die überlebt haben, und versucht es zu verdrängen. Das inszeniert Brasch ohne Pathos, in fast durchweg dunklen Farbbildern. Die verschachtelte Geschichte erleichtert, was er schon in seinen frühen Filmen liebte: die Durchbrechung zeitlicher Kontinuität.Der Passagier – Welcome to Germany, der seinerzeit im Wettbewerb von Cannes lief, sei kein KZ-Film, sagt Thomas Brasch. Das ist freilich nur die halbe Wahrheit. Dem Autor mag die Geschichte des „Verrats“, der Retouche einer eigenen Biographie besonders am Herzen gelegen haben. Aber das Ergebnis ist zumindest auch ein Film über den Nationalsozialismus, und er bildet in mancher Hinsicht ein Gegenstück zu den amerikanischen Beiträgen zum Thema, am ehesten noch vergleichbar dem Verschlag von Armand Gatti. Jurek Becker hat am Drehbuch mitgearbeitet, George Tabori spielt eine Rolle, die ihm auf den Leib geschrieben scheint. Die Leute um Thomas Brasch – sie sind inzwischen alle tot – wussten, wovon sie sprachen. Vielleicht verbieten sie sich deshalb jede Sentimentalität. Die können sich nur die Kinder der Täter leisten, die in ihren Tränen das Eingeständnis ersäufen, dass sie die Erben der Mörder sind.