Es lebe das Klettband!

iPad Der archaische Mauspfeil ist endlich tot. Eine Betrachtung über das iPad

In dem Film Sans Soleil von Chris Marker kommentiert der Erzähler eine Ausstellung musealer Vatikanschätze in einem Großkaufhaus in Tokio. Er meint, in den Augen der Besucher einen Glanz von Industriespionage wahrzunehmen, und vermutet, dass die Japaner bald mit einer leistungsfähigeren und billigeren Version des Katholizismus rauskommen werden. Das war 1982. Jetzt ist es soweit.

Da inzwischen die digitale Revolution über den Planeten gefegt ist, geht die moderne Erweckung aber nicht von ­Nippon aus, sondern von der Firma ­Apple. Genauer: vom iPad. Für viele ist das Gerät die schärfste Erfindung seit dem tiefen Teller. Im Netz kursieren ­Videos, in denen Katzen und Artdirektoren hochvergnügt mit dem iPad experimentieren, letztere auf der Suche nach neuen Möglichkeiten der Darstellung und Handhabung von etwas, das noch keinen Namen hat. Es soll etwas Neues destillieren aus Zeitungen, ­Magazinen, TV und Büchern und dem, was das Internet in Links, Textschnipsel, Tracks, Clips zerlegt hat. Es soll umfassender und ­umwerfender sein als ­alles, was war.

Fingerspitzengefühlsbedienung

Das wird auch geschehen. Aber das iPad wird nicht Sieger eines Entweder-Oder-Kampfs sein. Es ist ein weiteres ­Gerät unter vielen. Was es Neues bringt, ist ein Ende des archaischen Mauspfeilgestochers und der Beginn eines zärt­lichen Umgang mit der Maschine durch Fingerspitzengefühlsbedienung: So nahe war die digitale Welt noch nie. Wie leichthin sie sich doch skalieren und verschieben lässt! Willkommen in Deutschland, kleines weltbewegendes Werkzeug!

Das iPad ist ein Laptop, der seine Tastatur verschluckt hat. Man kann sich damit aufs Sofa legen, ohne dass einem der Bildschirm auf die Finger klappt. Politisch ist das bedenklich, denn die Revolution fällt aus, wenn die Leute zu faul sind aufzustehen. Aber kaum etwas kann einem so schön beim Dagegensein helfen wie ein solches Gerät.

Digitales Kleingeld zum Überleben

Höchste Heilserwartungen setzt die Print-Branche in das iPad, und das nicht nur, weil sich damit möglicherweise so etwas wie eine Hyperzeitung bewerkstelligen lässt. Zur Apple-Medienmaschinerie gehört seit dem iPod auch etwas ganz und gar Unglaubliches, nämlich ein integriertes und funktionierendes Bezahlsystem. Jenseits von Apple ist die Abschaffung des Geldes im Netz dagegen erstaunlich erfolgreich verlaufen. Zumindest was das Kleingeld betrifft. Ein Buch für 20 Euro online zu kaufen ist kein Problem. Wenn es darum geht, einen Zeitungsartikel für ein paar Cent mitzunehmen, wird es schwierig. Digitales Kleingeld aber ist der Schlüssel zum wirtschaftlichen Überleben im Netz.

Spötter sehen im iPad ein aufgequollenes iPhone und kritische Blogger befürchten, die Maschine werde die Menschen wieder passiv und konsumistisch machen – aber das Ding, das sie meinen, heißt Fernseher, und die Auswahl an Geräten, mit denen man einem Spektrum an Bedürfnissen vom superaktiver Online-Aktivität bis hin zum wohligen Schweben in der medialen Nährlösung nachgehen kann, war noch nie so vielfältig wie heute. Wirklich bemerkenswert fand ich ein Video, das die Vereinigung zweier großartiger Erfindungen zeigt – von iPad und Klettband. Damit lässt es sich aufs Armaturenbrett des ­Autos pappen und als Navi verwenden, in der Küche irgendwo hinkletten (nicht in die Kühlschranktür eingebaut, wie Smart Kitchen-Albernheiten), an der Wand befestigen und als profaner Bilderrahmen verwenden. Also: Mit dem iPad lässt es sich prima leben. Aber nur, wenn es auch ein Klettband hat

Peter Glaser ist Schriftsteller, Journalist und Bachmann-Preisträger. Sein Interesse gilt vor allem den Entwicklungen in der digitalen Welt

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