Amerikaner und Briten lesen kaum Übersetzungen. Umso erstaunlicher, dass ein 60 Jahre alter deutscher Kriegsroman jetzt die englischsprachigen Bestsellerlisten stürmt
Nachdem er mehr als ein halbes Jahrhundert nach seiner Veröffentlichung endlich ins Englische übersetzt wurde, nimmt Hans Falladas Jeder stirbt für sich allein unter dem Titel Alone in Berlin die Leser beiderseits des Atlantiks im Sturm für sich ein. Allein im Vereinigten Königreich hat Penguin Classics innerhalb von drei Monaten mehr als 100.000 Exemplare verkauft und erwartet, dass im Verlauf des Jahres noch 250.000 weitere hinzukommen. Dies sind erstaunliche Zahlen, wenn man bedenkt, dass von den meisten englischen Romanen selten mehr als ein paar tausend Exemplare verkauft werden.
Falladas Buch jedenfalls hat es in die offizielle UK Top 50-Liste aller Verlage des Vereinigten Königreiches geschafft – was nur sehr wenigen Klassikern vorbehalten bleibt.
Übersetzung: Holger Hutt
ssikern vorbehalten bleibt. In den USA verzeichnet der kleine unabhängige Verlag Melville House, von dem Penguin die Rechte erworben hat, ebenfalls gewaltige Verkaufszahlen. Mund-zu-Mund-Propaganda und die Empfehlung durch Buchclubs verhelfen einem Autor zu spätem Ruhm, der in der englischsprachigen Welt bislang nahezu unbekannt gewesen war. Dass die Übersetzung so lange auf sich warten ließ, ist umso erstaunlicher: Der hoch angesehene italienisch-jüdische Schriftsteller Primor Levi, der die Konzentrationslager der Nazis überlebte, beschrieb Falladas Roman einmal als „das größte Buch über den deutschen Widerstand gegen die Nazis“.Inspiriert durch mutige TatenDer 1947 geschriebene Roman ist eine erschreckende Skizze der extremen Angst in einer Diktatur. Im Zentrum steht das Berliner Ehepaar, Otto und Anna Quangel, die 1940 damit beginnen, einzelne Postkarten mit Hitler-kritischen Aufrufen in Treppenaufgängen und an anderen Orten zu hinterlegen, nachdem ihr Sohn an der Front gestorben ist. Zusätzliche Spannung erhält der Plot dadurch, dass der Leser parallel zu den Unternehmungen der Quangels auch über die Arbeit des ermittelnden Gestapo-Kommissars auf dem Laufenden gehalten wird. Die Geschichte wurde durch die mutigen Taten des Arbeiter-Ehepaares Otto und Elise Hampel inspiriert, die schließlich festgenommen und 1943 enthauptet wurden.Fallada erlag kurz nach der Veröffentlichung von Jeder stirbt für sich allein im Alter von 53 Jahren einer Überdosis Morphium – das tragische Ende eines tragischen Lebens. Dem Sohn eines Richters machten seine Psyche, Drogen und Alkohol zu schaffen. Er verbrachte Jahre in Heilanstalten und Gefängnissen und wurde beschuldigt, gegen die Nazis konspiriert zu haben. Geboren als Rudolf Ditzen, entlieh er seinen Künstlernamen einem Märchen der Gebrüder Grimm und wurde in den 1930ern zu einem bekannten Schriftsteller. Sein Roman Kleiner Mann, was nun? von 1932 brachte ihm im Deutschen Reich den Durchbruch. Der Erfolg allein rettete das Vermögen des kleinen Verlegers."Was hättest Du getan?"Falladas 80-jähriger Sohn, der pensionierte Rechtsanwalt Ulrich Ditzen, zeigte sich gegenüber dem Observer von den jüngsten Verkaufszahlen überwältigt und sprach von einem Phänomen. Dennis Loy Johnson, der den Verlag Melville House vor neun Jahren gegründet hat, sagte, er sei entsetzt gewesen, als er gehört habe, dass Jeder stirbt für sich allein noch nicht ins Englische übertragen worden war. „Als ich es las, wollte ich es sofort herausbringen.“ Und der Verleger von Penguin Classics, Adam Freudenheim, erklärte: „Über dieses Buch muss man sich einfach austauschen und es in Erinnerung rufen. Es stellt die Frage: Was hättest Du getan, wenn du dort gewesen wärst?“Bleibt abzuwarten, ob die englischen Verleger durch Falladas Erfolg Lust auf mehr ausländische Titel bekommen haben. In der Abteilung Belletristik machen Übersetzungen gerade einmal ein Prozent der verkauften Bücher aus. Valerie Henitiuk vom nationalen Zentrum für literarische Übersetzungen an der Universität von East Anglia sagte hierzu, bei den britischen Verlegern herrsche der Glaube vor, die Leser würden vor übersetzten Titeln zurückschrecken. „Dabei wollen die Leute einfach nur gute Bücher lesen. Es ist ihnen völlig egal, ob sie ursprünglich in einer anderen Sprache geschrieben wurden oder nicht.“ Die Vorzeichen hierfür stehen gut. Vergangene Woche brachte Melville House Falladas Roman Wolf unter Wölfen in die britischen Buchläden und bereits jetzt wird die dritte Auflage gedruckt. Falladas Sohn hält den Roman, der im Inflationsjahr 1923 spielt, für das „größte und beste Buch“ seines Vaters und Fallada selbst soll Jeder stirbt für sich allein einmal als „wahrhaft großen Roman“ bezeichnet haben, der es mit Wolf unter Wölfen aufnehmen könne.Die Filmrechte zu Jeder stirbt für sich allein wurden von dem Schauspieler und Regisseur Vincent Perez und Goodbye Lenin-Produzent Stefan Arndt erworben. Als Sohn einer deutschen Mutter habe ihn Jeder stirbt für sich allein erschüttert, sagte Perez dem Observer: „Ich konnte nachvollziehen, wie es gewesen sein musste, unter den Nazis in Deutschland zu leben, welchem Druck man ausgesetzt war. Das Buch hat mir da etwas Neues eröffnet.“ Nur zufällig hat er von Fernsehjournalisten, die eine Dokumentation über ihn vorbereiteten, erfahren, dass seine eigene Familie Widerstand gegen die Nazis geleistet hatte und sein Onkel in der Gaskammer gestorben war.