Obwohl es den Weather Underground seit über 30 Jahren nicht mehr gibt, erfreut sich dieses ominöse Stück Post-68er-Geschichte großer Beliebtheit. Als Chiffre für alles Unamerikanische dient es nicht nur der Tea Party. Sarah Palin erklärte Bill Ayers, einen der Macher des Weather Underground, einmal zu „Obama‘s terrorist friend“ – hatten doch Ayers, heute Professor für Erziehungswissenschaften, und Obama in den 90ern zusammen eine Charity-Veranstaltung organisiert. Auf rechten Webseiten kursieren gar Gerüchte, Ayers sei der Ghostwriter von Obamas Autobiografie. Und der reaktionäre TV-Kommentator Glen Beck behauptete neulich, die Krise der traditionellen Geschlechterrollen in den USA ginge auf den Weather Underground zur
Kultur : Die Hippie-Terroristen
Eine kalifornische RAF waren sie nicht: Lieber vergleicht sich Bill Ayers vom Weather Underground heute mit Butch Cassidy
Von
Florian Schmid
ück – schwache Vaterfiguren wie Homer Simpson seien ihm geschuldet. Als Beweis blendete er ein Bild der fettleibigen Comicfigur aus Springfield zusammen mit einem Zitat aus dem Gründungspapier der Weathermen vom Juni 1969 ein.Als Teil der feministischen Bewegung taucht die Gruppe, die sich ab 1970 in die Illegalität abgetaucht in Weather Underground Organisation (WUO) umbenannte, aber kaum. Deutlich wird das in Emile de Antonios Film Underground von 1975, der nun, zusammen mit weiterem Material, in Karl-Heinz Dellwos Bibliothek des Widerstands neu herausgebracht wurde. Auf einer Pressekonferenz vor der legendären Großrandale in Chicago, den „days of rage“, ist Ayers mit Sonnenbrille am Mikrofon zu sehen. Der Mittelstands-Sprössling wirkt wie ein kleinkrimineller Macho aus den US-Krimiserien der 70er Jahre. Und seiner heutigen Ehefrau, Bernhardine Dohrn, der damaligen Vorsitzenden des amerikanischen SDS, misstrauten viele Feministinnen. Die attraktive Führungsfigur der militanten Anti-Vietnam-Kriegsbewegung trug gerne Minirock und knielange Stiefel; auf Plakaten wurde sie in diesem Outfit auch zur linksradikalen Pop-Ikone stilisiert.Bei Bob Dylan geklautAber was war dieser Weather Underground denn nun wirklich? Eine terroristische Vereinigung? Oder doch eher ein Stück Popkultur, mit dessen Hilfe Glen Beck drei Jahrzehnte später eine gesellschaftspolitische Simpsons-Exegese vornimmt? Oder beides? „Freaks are revolutionaries and revolutionaries are freaks“, heißt es in der im Mai 1970 veröffentlichten declaration of war. Kein Wunder, denn die WUO speiste sich aus jener subkulturellen Gegenöffentlichkeit, die Ende der 60er das Universitätsmilieu veränderte. Entstanden waren die Weatherman als eine Fraktion des amerikanischen SDS, der 1969 mehr als 100.000 Mitglieder zählte. Der Name selbst geht auf eine Textzeile Bob Dylans zurück: „You don’t need a weatherman to know which way the wind blows“ – also in Richtung Revolution. Bei der SDS-Jahreshauptversammlung 1969 „putschte“ die Gruppe gegen den maoistischen Flügel, der sich eine Neuorganisierung der Arbeiterklasse auf die Fahnen geschrieben hatte.Die Weathermen dagegen waren akademische Hippies und trafen mit ihren popkulturellen Protest-Posen den Geschmack der damaligen Studentenschaft. In dem Dokumentarfilm Weather Underground von 2002 erzählt der frühere Aktivist Mark Rudd dann auch gerne von LSD-Konsum und Gruppensex – als politischen Maßnahmen, um das Regime der Zwei-Paar-Beziehungen aufzubrechen. Eine amerikanische RAF, wie sie oft bezeichnet wird, waren sie dagegen nicht. Statt Maschinenpistole und fünfzackigem Stern zeigt das naiv comicartig gezeichnete Logo der Organisation einen Regenbogen mit einem Blitz darin. Es könnte auch gut als Kneipenschild in einem Freak-Brothers-Comic durchgehen.Harmlos war die etwa 30 Personen umfassende Kern-Gruppe, die Anfang 1970 überstürzt in den Untergrund ging, dennoch keineswegs. Von 1970 bis 1977 verübte sie etwa zwei Dutzend Sprengstoffanschläge, unter anderem auf das Capitol. Zuvor waren die Weathermen als Organisation kaum öffentlich aufgetreten. Auch die von ihnen organisierten „days of rage“ waren kein Erfolg gewesen. Zur angekündigten Dreitages-Randale, die an einem Lagerfeuer in einem Park von Chicago begann und mit viel Glasbruch im Geschäftsviertel endete, erschienen statt der erwarteten zehntausend nur etwa 400 Personen, die sich dann schwere Straßenschlachten mit der Polizei lieferten. Am Ende waren fast alle Weathermen verletzt und verhaftet. Es beginnt die Zeit der Weather Underground Organisation.Die Ereignisse überschlagen sich, als sich im März 1970 in New York drei Gruppenmitglieder beim Bau einer Bombe in die Luft sprengen, die eigentlich auf einem Unteroffiziersball explodieren sollte. Sofort taucht der Rest ab und die Gruppe entschließt sich in einer Krisensitzung in einem nordkalifornischen Landhaus, auf Gewalt gegen Menschen zu verzichten. Eine der Triebfedern ihrer Radikalisierung lag im versuchten Schulterschluss mit der schwarzen Bürgerrechtsbewegung. Während die junge weiße Elite an den Universitäten rebellierte und von der Polizei verprügelt wurde, kamen Protagonisten der Ghettoaufstände in Watts, Newark und Detroit bei Feuergefechten mit der Polizei ums Leben. Der WUO ging es um eine radikale Solidarisierung. Aber die Black Panthers distanzierten sich von der Gruppe und bezeichneten deren Aktionen sogar als kindisch.In seiner ebenfalls jetzt auf Deutsch erschienenen Autobiografie Flüchtige Tage schildert Bill Ayers das nun folgende Leben im Untergrund. Er empfindet es als Abenteuer. Zum Teil liest sich das wie ein subkultureller Pfadfinderroman, etwa wenn die in der Illegalität lebenden Hippies in die Wüste fahren, um Schießübungen zu machen und ein altes Autowrack in die Luft sprengen. Wie im Agentenfilm wirken wiederum die Szenen, in denen sie Kontakt zu anderen WUO-Zellen aufnehmen. Dabei wurden die Mitglieder im Untergrund älter, um nicht zu sagen erwachsen. Die meisten waren 25, als sie abtauchten. An Ayers und Dohrn lässt sich diese Entwicklung exemplarisch ablesen. Als sie sich 1980 stellen, haben sie zwei Kinder.Das Leben im Untergrund fand auch Eingang in die Belletristik. Am prominentesten sicher bei Philip Roth, der schon Mitte der Neunziger in Amerikanisches Idyll den literarisch hochkarätigsten Beitrag zum Weathermen-Phänomen abgeliefert hat. Die Tochter eines Provinzamerikaners sprengt das örtliche Postamt in die Luft. Vom Vietnamkrieg und der Bürgerrechtsbewegung findet sich in dem Roman nichts, es geht um Rebellion als Selbstweck. Roth beschreibt das blanke Entsetzen und Unverständnis der älteren Generation. Die Tochter landet letztlich in einer Sekte, die allegorisch für die 68er-Gegenkultur steht. Pikant ist, dass Ayers in seiner Autobiografie behauptet, sich in seiner Untergrundzeit regelmäßig mit einem ehemaligen Lehrer namens Nathan Zuckerman, einem mittlerweile erfolglosen Schriftsteller, im Hinterzimmer einer Peepshow am Times Square getroffen zu haben, wo dieser ihm manchmal Geld zusteckte. Nathan Zuckerman: Das ist ja das Alter Ego von Philip Roth, der auch als Erzähler in Amerikanisches Idyll auftaucht – ebenso wie ein Kampfgenosse der Bomben legenden Tochter mit Namen Bill.Endlose JugendZwar bedeutete das Leben im Untergrund nicht das Ende der öffentlichen Manifestationen; 1974 veröffentlichte die WUO ein Manifest mit dem Titel Prairie Fire, das in Coffeeshops und Buchläden ausgelegt wurde. Auf der anderen Seite aber musste ein Mark Rudd irgendwann feststellten, wie wenig von dem politischen Einfluss, den er als SDS-Vorsitzender gehabt hatte, im Untergrund übrig blieb (nachzuhören im Film Weather Underground). Als sich die Mitglieder der WUO nach und nach den Behörden stellten, kamen sie meist mit geringen Strafen davon. Das lag mehr an der illegalen Beschaffung der Beweise durch das FBI und weniger an der Geringfügigkeit der Vergehen. Dennoch verneint Bill Ayers entschieden, dass es sich beim WUO um Terrorismus handelte, vielmehr will er sich und die Seinen in George Roy Hills Filmklassiker Butch Cassidy und Sundance Kid (1969) wiedererkannt haben. „Wir (…) dehnten die Jugend ins Endlose aus“, schreibt Ayers 30 Jahre später, ganz im Stil des popkulturellen Kanons, in den der Weather Underground zweifelsfrei gehört.