Zwischen Ankunft und Abflug

Kino In einem gewissen Sinne der Film der Stunde, weil radikale Ernährungskritiker zu Wort kommen: Die Attraktion Pia Marais' „Im Alter von Ellen“ ist aber Jeanne Balibar

Jeanne Balibar. Mit diesem Namen, mit dieser Schauspielerin hängt alles zusammen in Pia Marais’ Film Im Alter von Ellen. Das Sujet: die Verpflanzung einer Ikone des französischen Kinos, die zum ersten Mal kurz in Arnaud Desplechins La sentinelle (1992) auftauchte, später prominent bei Jean-Claude Biette, Olivier Assayas und in Va savoir (2001), einem der schönsten Filme von Jacques Rivette: Balibar, von Pirandello-Texten umstellt, über Pariser Bürgerhausdächer vor Heidegger lesenden Männern davonschwebend. Eine Frau, die immer eine Leiter ins Freie findet.

Jetzt aber ist sie Ellen, eine nicht mehr ganz junge französische Stewardess, die in einem grauen Deutschland lebt und sich selbst eine neue Richtung geben will und muss. Ihr freudloser Lebensgefährte, der plötzlich ein Kind mit einer anderen Frau bekommt, und eine nie ausformulierte ärztliche Diagnose sind hier die Impulsgeber. Fluchtwege einer Flugbegleiterin, oder eben: Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!

Denn man sieht vor allem: Jeanne Balibar; in einem Film, der es sich offenbar zum Ziel gesetzt hat, einen Star der besten Ecken des französischen Kinos mit möglichst vielen deutschen Schauspielern und Schauspielerinnen in Kontakt zu bringen. Als ginge es darum, die Balibar’sche Leichtigkeit, dieses immer leicht ironisch-verstehende, aber nie offensiv gegen die Figur gerichtete Aus-der-Rolle-hinaus-Blinzeln mit den schlichteren Manierismen der anderen zu konfrontieren. Ein Experimentalfilm für Schauspielschüler, Die Spielwütigen als Spielfilm.

Fast schon seriell mutet der kollegiale Auflauf um und neben Balibar an; eine Reihe, die allerdings von einem echten Wiener eröffnet wird: Georg Friedrich, der in zurückgenommener Ulrich-Seidl-haftigkeit einen Florian spielt, der allen Ernstes nichts Besseres zu tun hat, als Jeanne Balibar zu verlassen. Es treten auf in rascher Folge: Alexander Scheer (als Steward), Eva Löbau (die Balibar immerhin ihren badischen Dialekt aus Der Wald vor lauter Bäumen erspart, nicht aber eine biedere Cabin-Crew-Orgie) und vor allem Julia Hummer als militante Tieraktivistin mit abgeklärtem Antifasprech und einer Perücke, deren Wischmoblook unwillkürlich Cameron Diaz’ Frisur in Being John Malkovich wieder in Erinnerung bringt.

Diffuses Begehren

Reichlich Zeit für zugegebenermaßen beliebige Assoziationen bleibt einem, weil Im Alter von Ellen an recht vorhersehbaren ästhetischen Formen der Entmischung interessiert ist, jedenfalls eher, als an einer runden Story, psychologisch transparenten Figuren oder einem konventionellen Erzählfluss. Einige Male gerät der Film sehr schön ins Stocken: im empathischen Blickwechsel mit einem Gepard, bei einem nächtlichen Gang über eine Landstraße voller befreiter Labormäuse, die mit ihrer Freiheit nichts anzufangen wissen.

Neben der Frage, ob sich Ilse Aigner von Hummers dahergeschnodderten Argumenten beeindruckt zeigen würde, kommt einem noch Isabelle Huppert in Benoît Jacqouts Villa Amalia (lief vor einigen Wochen sehr kurz in den deutschen Kinos) in den Sinn: Auch dort eine Frau, die abrupt stehenbleibt und in die entgegengesetzte Richtung zu laufen beginnt. Huppert spielt diese überbeherrschte Pianistin als solide Variation auf viele andere Huppert-Frauen, aber eben auch im Bewusstsein einer Trademark-Pflege. Jeanne Balibar erlaubt sich hingegen eine offenere, unreinere Filmografie, lässt sich also auch einmal auf ein Projekt ein, in dem sich ein eher diffuses Begehren auf sie richtet.

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