So wahr, dass man die Luft riecht

Film „The Way Back – Der lange Weg zurück“ von Peter Weir zeigt geradezu teuflische Bilder von der Natur – und den verlorenen Menschen in ihr

Das Verhältnis von Kino und Wahrheit ist eigenartig. Einerseits gibt es Filme, in denen Superhelden Atombomben mit der Hand lenken oder ein Haufen Pinguine den Synchrontanz übt. Andererseits tragen nicht minder unwahrscheinliche Erzählungen von stotternden Königen und boxenden Ex-Junkies das Etikett „inspiriert von wahren Ereignissen“ wie einen Preisgewinn vor sich her. Aber muss eine Geschichte wahr sein, damit sie fesselt? Mit Peter Weirs The Way Back – Der lange Weg zurück kann jeder diesen Test an sich selbst vornehmen.

Der Film setzt in Szene, was ein gewisser Slawomir Rawicz erlebt haben will: 1939 als polnischer Soldat in ein sibirisches Straflager verschleppt, bricht er mit einer kleinen Gruppe Leidensgenossen zusammen aus. Auf ihrer Flucht gen Süden durch die Mongolei, die Wüste Gobi und den Himalaya haben sie gut 5.000 Kilometer zurückgelegt, bevor sie Indien erreichen. Von bitterster Kälte bis zur sengenden Hitze muss die Gruppe, deren Zahl sich auf dem Weg stetig reduziert, den menschenfeindlichsten Bedingungen trotzen und hat gleichzeitig mit Hunger, Durst, Mücken und dem Schuhwerk zu kämpfen. Es ist eine Geschichte, die so unwahrscheinlich klingt, dass man sie kaum erfinden könnte.

Kleine Geheimnisse

Eigentlich würde man erwarten, dass The Way Back in erster Linie von den Flüchtenden und ihrer Gruppendynamik handelt, vom anfänglichen Misstrauen und dem langsamen Vertrauenfassen, von der Bewährung des einen und der Verzweiflung eines anderen. Aber Weir bleibt hier rudimentär. Im Zentrum steht Janusz (Jim Sturgess), der Slawomir Rawicz vertritt. Er ist der Einzige, über dessen Hintergrund man etwas erfährt. Um ihn herum gruppieren sich eine ganze Reihe von Gegenspielern, die der Film in einem Moment aufgreift und im nächsten wieder fallen lässt. Da gibt es den Mithäftling Khabarov (Mark Strong), der Janusz zuerst die Idee zur Flucht eingibt und dann feige zurückbleibt. Mr. Smith (Ed Harris) beschreibt ihn als einen, der sich parasitär von der Euphorie anderer ernährt. Er selbst, ein amerikanischer Ingenieur mit offenbar einst sehr linken Überzeugungen, erweist sich zwar als taff, dafür aber umso undurchsichtiger. Ein weiterer Mitflüchtling ist Valka (Colin Farrell), der einzige „echte“ Verbrecher unter ihnen. Unterwegs stößt die Polin Irena (Saoirse Ronan) dazu, die der Film dankenswerterweise nicht als Objekt der Begierde einsetzt, sondern als Schnittstelle: Irena entlockt den verschlossenen Männern kleine Geheimnisse und stiftet so neue Verbindungen unter ihnen.

Aber wie gesagt, das Personendrama spielt bei Weir eine untergeordnete Rolle; im Wesentlichen geht es ihm um die Erfahrung der Naturelemente. Ob für die Kälte Sibiriens und seine stillen, schneebedeckten Wälder oder für die unter die Haut gehende Trockenheit der Wüste Gobi – The Way Back findet Bilder von solch atmosphärischer Dichte, dass man die Luft förmlich zu riechen glaubt. Oft sind es fast teuflisch schöne Bilder, weil sie in der Grandezza der wechselnden Landschaften die Verlorenheit des Menschen illustrieren – und damit auch den Überlebenswillen, den eine solche Unternehmung braucht. Auf einmal ist man wieder bei der Ausgangsfrage: Muss man die Geschichte für wahr halten, um etwas an ihr zu finden? Auch wenn Slawomir Rawicz der Lüge überführt sein mag – dass sie so stattgefunden haben könnte, davon überzeugt einen dieser Film auf jeden Fall.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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