Die einzige Neid-Debatte, die je geführt wurde, könnte man kalauernd sagen, war die Debatte um die Fußballtrainerin Silvia Neid. Ansonsten wurde vor der „Neid-Debatte“, seit sie der ehemalige Bundesbankpräsident Ernst Welteke 2006 gesichtet haben wollte, vor allem gewarnt. Wer sie nicht haben will, hat dafür meist Gründe, die die andere Seite veranlasst zu sagen, eine „Neid-Debatte“ wäre in Wahrheit eine Debatte über soziale Ungleichheit oder umgekehrt über mehr Verteilungsgerechtigkeit. Und schließlich krankt eine „Neid-Debatte“ daran, dass sich kaum ein Verfechter des Neides fände. Neid ist eine der sieben Todsünden und auch in säkularisierten Gesellschaften verpönt.
Dabei wäre es erst einmal nicht schwer, für die produktive Seite des Neides zu werben. Die Geschichte kennt genügend Beispiele von herausragenden Leistungen, die man als vom Neid erzeugt interpretieren darf. Beweise wird man aber selbst für diese lässliche Form nur wenige finden. Selbst von Schriftstellern, die von Berufs wegen die dunklen Seiten der Seele erforschen sollten, wird man ebenso selten ein „weil ich auf den Erfolg des Kollegen XY neidisch war“ hören wie ein „aus reiner Eitelkeit“, wenn Auskünfte nach Schreibmotiven erteilt werden. Beides ist aber wahrscheinlich.
Nah-Neid
Ähnlich steht es in einem todernsten Kapitel der deutschen Geschichte. In seinem neuen Buch Warum die Deutschen? Warum die Juden? (S. Fischer) erinnert Götz Aly an eine nicht geführte Neid-Debatte aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert. Es ist die Debatte über den Neid der Deutschen auf die Juden. Aly zitiert zahlreiche Stimmen, die von diesem Neid sprachen, allerdings gehören sie ausnahmslos nicht den Neidern selbst. Diese verstecken nämlich ihren „Charakterzug schamhaft hinter allerlei vorgeschobenen Motiven – zum Beispiel hinter einer Rassentheorie“. Plausibel ist die Annahme eines weit verbreiteten Neides dennoch, einfach weil es Gründe gab: Aus (mentalitäts)geschichtlichen Gründen kamen viele jüdische Deutsche mit der Modernisierung besser zurecht als das Gros der christlichen Deutschen, sie erwiesen sich als mobiler, flexibler und bildungsoffner. So stammten 1869 knapp 15 Prozent der Berliner Gymnasiasten aus jüdischen Familien, Juden machten aber nur vier Prozent der Gesamtbevölkerung aus.
Es ist beklemmend, dass sich der aggressive Neid der christlichen Deutschen just in dem Moment verstärkte, als sie in der Weimarer Republik aufholten – nach der Regel, ich neide dem, der mir nahe steht, mehr als dem ganz oben. Noch beklemmender, dass sich dieser Neid mit der weit verbreiteten „volkskollektivistischen Gleichheitsidee“ verband und katastrophal wirkte. Das Thema wird uns weiter beschäftigen, zumal Aly bei der gut besuchten Buchpremiere künftig ähnliche Folgen von Neid nicht ausschließen wollte.
Ein paar Schlüsse wollen wir aber hier schon ziehen. 1.) Womöglich wäre Schlimmes schon zu verhindern, wenn die Neid-Debatte endlich geführt, Neid also nicht mehr schamhaft geleugnet würde. 2.) Wer eine Neid-Debatte aber nicht will, muss sagen, wovor er sich fürchtet (zum Beispiel dem Verlust von Privilegien) 3.) Wer mehr Gleichheit fordert, muss zugleich das rassistische, völkische und antisemitische Denken bekämpfen; nicht die Forderung nach mehr sozialer Gleichheit ist das Problem, wie der Anti-68er Aly auch für die Gegenwart zu unterstellen scheint, sondern ein verkürzter Freiheitsbegriff.