Treibjagd nach dem Glück

Zeitgeist Eine etablierte ­niederländische Autorin ­kokettiert mit dem lyrischen Schaffen Osama Bin Ladens. Warum tut sie das nur?

Ohne es zu beabsichtigen, formuliert der Protagonist in Kutscher Herbst sein eigenes Schicksal: „Alles ist ein Vorzeichen für etwas anderes. Wer so anfängt, ist schnell erledigt.“ Denn Maurice Maillot, ein Schriftsteller, der seit dem Tod seiner Katze unter einer Schreibblockade leidet, ist durchaus gewillt, alles als Vorzeichen zu lesen; insbesondere für die große Liebe, die er noch finden muss und die zweifelsohne den ungeschriebenen Jahrhundertroman mit sich bringt. Und was wäre prädestinierter für die „unsichtbare Vollstreckung des Lebensloses“ als ein gefundenes Nokia-Handy, das beim Eingang neuer Nachrichten miaut?

Fortan bestimmt er Nokia-Chef Jorma Ollila zum Schutzheiligen und „Connecting People“, zum moralisch erbauenden Man­tra. Die Sache mit den Beziehungen ist allerdings nicht ganz unproblematisch. Maurice mag keine Menschen, schon gar nicht Künstler oder Intellektuelle. Fehlenden Sozialkontakt kompensiert der „Meister des inneren Monologs und des Masturbierens“ durch intensive Beziehungen zu Tieren. Die Trauer um die tote Katze bewältigt er bezeichnenderweise, indem er nachts „Humanität – dein Name ist Tier“ an Häuserwände sprüht. Und so ist es vielleicht doch kein Zufall, wenn er auf eine Aktivistin der Lobster Liberation Front stößt, die auf dem Höhepunkt ihrer sexuellen Lust einen Namen nuschelt, „der alle anderen Namen übertrumpfte und überflüssig machte“: „Kutscher Herbst“! Ein Name, der Maurice „anturnt, fesselt, reinhaut“ und seinen neuen Roman betiteln soll. Der Umstand, dass Kutscher Herbst bereits Titel eines Gedichts von Osama Bin Laden ist, der sich tatsächlich für eine Art „Kriegerpoeten“ hielt und dessen Werke derzeit vom Religionswissenschaftler Flagg Miller hinsichtlich einer Veröffentlichung gesichtet werden, stört ihn dabei ebenso wenig wie Bin Ladens Porträt auf dem Nachttisch der Liebsten.

Unerfüllte Erwartungen

Was die beiden Protagonisten aber eigentlich verbindet, ist die fortwährende Auseinandersetzung mit der anthropologischen Differenz, die nicht nur auf die Frage abzielt, was Mensch und Tier trennt, sondern vor allem darauf, ob eine konsequente Tierliebe nicht zugleich Antihumanismus impliziert. Kutscher Herbst erzählt von der Begegnung zweier von der Gesellschaft Ausgeschlossener, die dazu neigen, Tiere wie Menschen und Menschen wie Tiere zu behandeln. Mit dem Tief- und Abgründigen, das hinter unkonventionellen und teilweise grotesken Einzelheiten lauert, ist sowohl seine Stärke als auch seine Schwäche benannt: Einerseits wird unterhaltsam von der „Treibjagd nach dem Glück“ zweier Außenseiter erzählt, denen es leichter fällt, Beziehungen zu Dingen oder Tieren als zu Menschen einzugehen. Dabei nähert sich der Roman ausgehend von der Diskrepanz zwischen den unerfüllten Erwartungen an die Mitwelt und dem eigenen asozialen Verhalten seiner Protagonisten, der Frage nach dem spezifisch Menschlichen und Unmenschlichen. Andererseits ist er überladen mit kulturellen Referenzen und ungewöhnlichen Zusammenstellungen, die nicht nur an die Grenze zwischen Mensch und Tier führen, sondern auch an jene zwischen Ironie und ernsthafter Auseinandersetzung.

So lesen sich Maurices ausführliche Schilderungen von Masturbationstechniken anfangs noch als Indikator für Einsamkeit und Langeweile, öden aber bald schon an. Auch die Koketterie mit dem Terrorismus wirkt konstruiert und erweckt letztendlich den Verdacht, dass sich nicht nur Abgründe hinter dem vermeintlich Harmlosen auftun, sondern Provokantes in gleicher Weise das Platte und Seichte verdeckt. Zwar ist es durchaus interessant, zu erfahren, dass Bin Laden Gedichte schrieb, aber fraglich, ob sich Mutsaers Rekurs auf deren Poetik richtet oder auf den Effekt, dass sich die verkitschte Lyrik nicht losgelöst von Hasstiraden auf die westliche Kultur lesen lässt. Und so bleibt schließlich ebenso unklar, ob die Selbststilisierung der radikalen Tierschützerin in der Inkonsistenz der Figur gründet oder einfach Mutsaers Art ist, ihren Roman vor einer politisch korrekten New-Age-Sektion zu bewahren.

Kutscher HerbstCharlotte Mutsaers Hanser 2011, 432 S., 24,90 €

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