Relative Gemütlichkeit

Protestkultur "Occupy Wall Street" heißt die Aktion, und es geht real darum, symbolischen Raum in New York zu besetzen. Wie sich der Protest ausnimmt? Eine Ortsbesichtigung

Der Zuccotti Park in Lower Manhattan ist öffentlich zugänglich, gehört aber nicht der Stadt New York, sondern einer Immobilienfirma namens Brookfield Properties, die in Büroflächen macht. Früher hieß die an das riesige Bauareal des World Trade Center grenzende Anlage Liberty Plaza Park. Schon damals wollte sie nicht als Grünfläche missverstanden werden. Noch der kleinste Busch ist in polierte Steinwannen eingefasst. Bequem soll es sich hier eigentlich niemand machen. An normalen Tagen ist das nicht im Nutzerinteresse. Die Finanzindustriemenschen der nahen Wall Street nehmen hier zügig und ins strategische Gespräch vertieft ihre Lunchpackete ein. Müßiggang sieht jedenfalls anders aus.

Der Zuccotti Park ist von der jüngsten Urban-Gardening-Welle unbeeindruckt geblieben und auch sonst keine naheliegende Wahl für ein Campingwochenende, zumal Brookfield Properties auch keine entsprechenden Servicedienstleistungen (Duschräume, Feuerstellen bunte Abende) im Portfolio hat. Die Protestgruppe „Occupy Wall Street“, die sich seit vergangenem Wochenende im Zuccotti Park niedergelassen hat (am Samstag waren es noch ein paar tausend Demonstranten, Anfang der Woche sah es eher nach einer zweistelligen Teilnehmerzahl aus), hat den Ort denn auch nicht unter touristischen Gesichtspunkten ausgewählt, sondern wegen seiner zentralen Lage im Finanzdistrikt. Im unweit gelegenen Battery Park wäre dann vielleicht doch zu schnell Urlaubsstimmung aufgekommen, gerade bei Sonnenuntergang.

Es geht also um Symbolpolitik. Schön sind aber auch Teilerfolge. Immerhin haben es die Demonstranten geschafft, dass Abschnitte der Wall Street durch aufgestellte Absperrgitter in ein umwegiges Gehege verwandelt wurden. Das enerviert die Banker zumindest peripher, weil es die Alltagswege länger macht und Zeit doch bekanntlich Geld ist. Es ist zugegebenermaßen nicht einfach gegen etwas Abstraktes und Umfassendes wie den Globalkapitalismus effektiv vor Ort zu protestieren. Vielleicht sind deshalb an diesem Montagnachmittag nur noch 50 Leute übrig geblieben, die von doppelt so vielen Polizisten gelassen beobachtet werden. Am Morgen waren es noch ein paar mehr gewesen, es kam auch zu sechs Verhaftungen, als sich Demonstranten weigerten, ihre Skimasken abzulegen.

Mitgebrachte Isomatte

Seit mittlerweile drei Nächten campiert der harte Kern nun bereits in der Steinparkwüste an der Church Street. Die aufgestellten Plakate deuten an, dass man sich von den Protesten in Ägypten, Spanien und Israel inspiriert fühlt, auch wenn es jeweils um länderspezifische Anliegen gehen mag. So auch hier in den USA: „End Corporate Personhood“ steht auf einem der Schilder, das sich auf das folgenschwere Citizens-United-Urteil des Supreme Court letztes Jahr bezieht, demzufolge Unternehmen ohne Einschränkungen politische Kandidaten finanziell unterstützen dürfen.

So konkret und politisch nachvollziehbar die Anliegen hier sind – vorgetragen in Form einer Campingveranstaltung vermitteln die Occupy-Wall-Street-Proteste unfreiwillig doch auch ein Bild relativer Gemütlichkeit. Nicht zuletzt deshalb, weil hier gar kein politisch relevanter Raum besetzt wird, sondern nur ein humorloser Durchgangspark. Der klassische Sitzstreik hatte immerhin noch zum Ziel, einen zumindest symbolisch besetzten Ablauf zu stören. Auf dem von Mubaraks Panzern umstellten Tahrir-Platz auszuharren, ist ohnehin etwas anderes, als im Zuccotti Park eine mitgebrachte Isomatte auszurollen und einige Business-Lunch-Verabredungen Richtung „indoor“ zu nötigen.

Simon Rothöhler ist Filmwissenschaftler und Mitherausgeber von Cargo - Film/Medien/Kultur.

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