Zwischen Körper und Kapital

Romantik Eben noch Molekül, heute schon Kalkül: Die Sachbuchliteratur hat die Liebe aus allen wissenschaftlichen Perspektiven durchdekliniert. Was ist das Ergebnis?

Falls ein Umstand die Ökonomisierung der Liebe anschaulich zu belegen vermag, dann wohl der, dass ein soziologisches Traktat von mäßiger Verständlichkeit aufgrund seines Titels, vielleicht auch wegen der knalligen Umschlagfarbe, einen Tag nach Erscheinen so gut wie ausverkauft ist: Warum Liebe weh tut heißt das Buch, geschrieben hat es die in Jerusalem lehrende Soziologin Eva Illouz, erwecken tut es in der Weite des Buchladens den Eindruck, als habe man es mit dem unfassbaren, ja, sensationellen ersten Versuch zu tun, sich auf wissenschaftliche Weise mit dem Phänomen des gebrochenen Herzen auseinanderzusetzen.

Das stimmt zwar gar nicht, ist aber egal, weil das Werk trotzdem auf fruchtbaren Boden fällt. Liebe hat immer Konjunktur, anspruchsvolle Annäherungen an dieselbe allemal. Es wird auch niemals langweilig, weil sich jede Wissenschaft ihre eigene Objektivierung des Themas gestattet und nicht mehr nur Philosophie, Psychologie oder eben Soziologie zur Zange greifen. Längst tun das auch die Naturwissenschaften, die die Liebe zwar auf fast unanständige Weise zu reduzieren drohen, aber zu erstaunlich ähnlichen Schlüssen gelangen wie die rein geistige Betrachtung (und nicht zuletzt der praktisch orientierte Ratgeber à la Zumhorsts Liebe dich selbst): Dass Liebe nämlich mit Selbstwert, Respekt und gesellschaftlicher Konstitution zu tun hat. Wozu also noch all das lesen?

Weil es sich anderweitig lohnt: Das Interessanteste hier ist nämlich nicht die Liebe selbst, sondern wie die Art ihrer sachlichen Betrachtung den Zeitgeist und die Verfasstheit der Gesellschaft spiegeln kann. In den späten Neunzigern etwa war das Finanzsystem noch metastabil, der Fortschrittsglaube in gutem Zustand und mithin auch die Bereitschaft vorhanden, sich Gefühlen auf physiologische Weise zu nähern: Candace Pert hatte den Opiatrezeptor, eines der zentralen Moleküle für die Empfindung von Euphorie oder Schmerz, in den Siebzigern entdeckt, 20 Jahre später war die Zeit reif für Moleküle der Gefühle, das insofern bemerkenswert ist, als dass es die Wissenschaft ins leicht Esoterische verklärt.

Liebe ist....

Und heute? Die Soziologie: In Illouz‘ Buch ist zu erfahren, dass die Liebe und der Schmerz, wie sie heute erlebt werden, ein Ausdruck von Kapitalismus und Moderne sind, was ja nicht schlimm wäre, müsste das Individuum seine Intimität nicht auf einem Markt verwalten, der vom Internet entgrenzt und von abgenagten Rollenbildern verhärtet ist und auf dem Kredite so schnell verbraucht sind, dass keine Rettung mehr möglich erscheint. Was, wie die Zeit richtig feststellt, ein wenig nach Griechenland klingt und ein Grund ist, weshalb Liebe gerade besonders weh tut.

Im Regal stehen noch viele andere Versuche, die Liebe mit den Augen einer Wissenschaft zu betrachten, zu beschreiben, zu erklären. Das zweitälteste – in diesem Regal zumindest – erschien vor drei Jahren, stammt aber von 1969 und ebenfalls aus der Feder eines Soziologen: Niklas Luhmann hat den Text von Liebe. Eine Übung für ein Seminar verfasst, und seine Studenten haben wohl nicht schlecht gestaunt ob der Mitteilung, dass Liebe gar kein Gefühl sei, sondern ein Code, der sich wie Geld oder Macht verhält und dessen Semantik – hier schließt sich der Kreis – mit der Erfindung des Buchdrucks fundamentale Veränderung erfahren hat. Liebe ist, was als Liebe kommuniziert wird. Liebe ist demnach wie im Roman. Sie ist aber immer auch, wie sie im Sachbuch beschrieben wird. Weshalb sie weh oder gut tut. Aber in jedem Fall den Blick auf die Welt erweitert.

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Geschrieben von

Kathrin Zinkant

Dinosaurier auf der Venus

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