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Mitarbeitermotivation durch Kunst? Thomas Ebermann lässt auf Kampnagel Hymnen erklingen und macht hören, was man sonst überhört

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Kunst, sagte Thomas Ebermann vor Kurzem auf einer Podiumsdiskussion, soll verstören. Leider gelinge es nur selten, Leute mit einem Buch oder Theaterstück so aus dem Konzept zu bringen, dass sie am nächsten Tag nicht zur Arbeit gehen könnten.

Immerhin: Der Theatersaal auf Kampnagel in Hamburg ist bis auf den letzten Platz gefüllt mit Menschen, die die Premiere des neusten Störversuch vom Ex-Grünen, Kabarettisten und Kritikers Ebermann sehen wollen: Sein erstes Theaterstück Der Firmenhymnenhandel. Das Bühnenbild aus Stühlen und gläsernen Wänden ist spartanisch und wird von einer großen Videoleinwand dominiert. Die Handlung ist rasch erzählt: Der Hymnenhändler (Robert Stadlober) und sein depressiver Komponist (Tillbert Strahl-Schäfer) wollen einer mittelständischen Firma eine Hymne verkaufen. Eingeladen wurden sie von der Junior-Chefin (Pheline Roggan) die als Tochter des Seniorchefs (Rainer Schmitt) den Betrieb hipper gestalten will. Die Hymne soll – wie in vielen Unternehmen, die sich tatsächlich solche Liedchen schreiben lassen – die Mitarbeiter motivieren. Es reicht nicht mehr, pünktlich zur Arbeit zu kommen. Heute seien, glaubt die Junior-Chefin, kreative Mitarbeiter gefragt, die sich im Job verwirklichen, „die Probleme erkennen und aktiv mit ihnen umgehen.“ Man darf sogar mal dem Chef widersprechen.

Im Vordergrund des Kammerspiels steht Ebermanns komischer, analytischer Text. Zitate von Theodor W. Adorno sind ebenso eingeflossen wie die allgegenwärtige Manager- und Ratgeberliteratur. Es geht um die (Un)Möglichkeit von Kunst – selbstverständlich wollen die beiden Musiker nur Geld verdienen, um sich ihren „eigentlichen“ Projekten widmen zu können – um die Brutalität eines Arbeitsalltages, den man zusätzlich zur Fremdbestimmung noch als Freiheit empfinden soll, um eine totale Gesellschaft, die kritisches Denken in Kreativwirtschaft überführt.

Oft fallen politische Spitzen, wie man sie aus Ebermanns Kabarett kennt: Der Firmenpatriarch ist stolz auf sein gutdeutsches Unternehmertum und schimpft auf „Heuschrecken“ und Shareholder-Value. Und der Komponist findet, all diese angepassten Kreativen seien wie die Piratenpartei: „Anders dumm. Aber auch dumm.“

Das Highlight des Abends sind die echten Firmenhymnen, die die Hymnenhändler als Video einspielen und die von Künstlern wie Bernadette La Hengst, Dirk von Lowtzow oder Harry Rowohlt gesungen werden. In einem dieser trashigen Clips, in denen Stadlober wunderbar respektlos herumspult, intoniert Kristof Schreuf inbrünstig: „Flugzeuge im Bauch / Im Blut Kerosin / Kein Sturm hält sie auf, unsere Air Berlin / Die Nase im Wind / Den Kunden im Sinn / Und ein Lächeln stets mit drin.“ Angesichts eines derartigen Schwachsinns lässt sich das Lachen nur schwer vermeiden – und die Realität rasch vergessen: Es gibt die absurden Hymnen wirklich, und sie sind viel schlimmer, als man es sich vorstellen kann.

Neben einem komischen Theaterabend bietet Der Firmenhymnenhandel eine scharfe Kritik der Zwänge, unter denen heute gelebt und gearbeitet werden muss. Das Hamburger Publikum dankte mit viel Gelächter, Szenenapplaus und anhaltendem Beifall. Allerdings hinterlässt einen selbst der Abend mit Hymnenhändler nicht so verstört, dass es am nächsten Tag unmöglich wäre, einen Text zu schreiben. Auch für Ebermann gilt: Die Möglichkeiten der Kunst sind begrenzt.

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