Mit "Sushi - The global catch" bedient Mark Hall die starke Nachfrage nach konsumkritischen Dokumentarfilmen - und zeigt zugleich die Stärken und Schwächen des Genres auf
Blauflossen-Thunfisch und Co.: Wie lange soll diese Art den globalen Sushi-Hunger noch stillen?
Foto: Neue Visionen Filmverleih
Es gibt kaum ein besseres Motto für Konsumkritik als das Oscar-Wilde-Zitat „Each man kills the thing he loves“. Denn wenn der Mensch auf der Erde etwas verbraucht und verschlingt, seien es Roh- oder Nährstoffe, geschieht das doch meist mit geradezu leidenschaftlichem Begehren. Und die Schlussphase der Ausrottung ist oft begleitet vom Selbstzerstörungsrausch der Eifersucht. Wie zuvor nur die Pizza hat das Sushi binnen weniger Jahrzehnte die Gaumen dieser Welt erobert. Ob in Amerika oder Europa, Russland oder Indien – kaum eine Stadt ohne Rohfisch-Angebot. Und schon beäugen sich internationale Sushi-Liebhaber voll Misstrauen: Wie lange wird der Fisch noch reichen?
Dokumentarfilmer Mark Hall beginnt seinen Sushi – The Global Catch nicht umsonst mit A
nicht umsonst mit Aufnahmen aus dem Mutterland des Sushi, sozusagen am Ursprungort, dort, wo die Welt noch in Ordnung ist. Ein Sternekoch aus Tokio erzählt stolz von seiner Liebe zum Handwerk der Sushi-Zubereitung, und dass er bereits die vierte Generation seiner Zunft in einem 1885 gegründeten Restaurant darstellt. Er ist nicht der einzige, der auf eine lange Tradition zurückblickt. Auch der Messerschmied, der den Sushi-Köchen das unverzichtbare Werkzeug liefert, der Fischhändler, der auf dem Markt den Thunfisch in 17 Sekunden bewertet, und nicht zuletzt der Fischer, der noch mit der Angel fängt – sie alle betonen, dass schon ihre Ahnen im Geschäft waren. Ein Stück dieser altehrwürdigen Tradition möchte der Restaurantbesitzer im polnischen Lodz wohl für sich reklamieren, wenn er seine Gaststätte, die er zuvor als italienische Pizzeria betrieben hat, nun „Tokyo Sushi Bar“ nennt. Sein Chefkoch gibt schuldbewusst zu, dass er das Sushi-Handwerk von Nichtasiaten gelernt habe, versichert aber, dass zumindest seine Lehrer von einem Japaner ausgebildet wurden. Rechtfertigungsnöte dieser Art hat man in den USA traditionsgemäß kaum. Im Gegenteil, dort passt man das Gericht ganz den eigenen Bedürfnissen an. Eine Texanerin verkauft Sushi an Schulkinder bei Football-Wettkämpfen; es sei doch so gesund. Was ihre Reisröllchen noch mit Sushi zu tun haben, lässt sich von der Aufschrift „Nothing raw, nothing weird“ nur erahnen.Böses Sushi-BusinessIn China, so erfährt man aus einer eingespielten Fernsehsendung, steigt die Lust am rohen Fisch mit den Einkommen. Spätestens hier beginnen die Alarmglocken zu läuten; schließlich kennt man das Argument aus jeder Rohstoffdiskussion. Gleich mehrfach fällt in Sushi – The Global Catch der Satz, dass, wenn nun auch noch die Chinesen mit Sushi-Essen anfangen, ganz gewiss die Ausrottung der Meeresvorräte drohe. Gott sei Dank aber gibt es ein paar Menschen auf dieser Welt, die versuchen, auch im Sushi-Business das Nachhaltigkeitsprinzip einzuführen. Mit seinem bunten Strauß aus markanten Beobachtungen, Krisenalarm und Experten-Interviews fügt sich Sushi – The Global Catch nahtlos in die Reihe des seit einigen Jahren boomenden Genres konsumkritischer Dokumentarfilme ein. Nun möchte man eigentlich Filme wie Unser täglich Brot, We feed the World, Taste the Waste, Plastic Planet, Bulb Fiction, Raising Resistance oder Bekenntnisse einer Ökoterroristen nicht alle über einen Kamm scheren. Sie unterschieden sich teilweise stark durch ihre Art der Argumentation und die Sorgfalt, die sie auf ihre Bilder oder auch ihren Text verwenden. Wo in Taste the Waste die Aufnahmen stets illustrativ sind, gilt für We Feed The World etwa, dass in den Bildern eigene Gedanken stecken.Aber egal, ob es um die Verheerungen der Nahrungsmittelindustrie, um die Wegwerfproblematik, um Energiepolitik oder Umweltverschmutzung geht, ob die Filme ihre Konsumkritik mit oder ohne schlauen Kommentar präsentieren, bilden sie doch gemeinsam ein Phänomen, das es so im Kino vorher noch nicht gab. Üblicherweise beschreibt man diesen „Boom“ – der aber vielleicht auch nur eine kleine Schwemme ist – als Folge der Popularität von Michael Moore und seinen Filmen. Moore und seine humorvollen Guerilla-Taktiken haben in dieser Theorie sozusagen ein Publikum für das Genre Dokumentarfilm erwärmt, das nun nach immer neuem Stoff für seinen Empörungswillen sucht, teils aus Lust am Weltuntergangsthrill, teils aus echtem Informationsbedürfnis. Und die Filmemacher selbst fühlten sich durch Moores Erfolg dazu ermutigt, durchaus komplexe Themen in ganz eigensinniger Weise und mit ganz eigener Handschrift anzugehen.Krise des FernsehensWie oft aber ist hinter dem Boom auch eine Krise auszumachen – in diesem Fall die des Fernsehens. Und das weniger als Produktionsstätte, schließlich sind die meisten der hierzulande produzierten Dokumentarfilme vom Fernsehen mindestens koproduziert, sondern als Ausstrahlungsort. Ein Film wie Sushi – The Global Catch hat im Grunde mehr mit Journalismus und der TV-Reportagetradition zu tun als mit dem klassischen Kinodokumentarfilm. Er läuft im Kino, weil er dort auf ein Medienecho hofft, das eine Diskussion anregen wird – im Fernsehen wird er dann später irgendwann „versendet“, und obwohl ihn dort auf einen Schlag wahrscheinlich mehr Leute sehen werden als jetzt im Kino, wird er seine Chance auf Diskursanstoß doch schon verspielt haben.Wobei Sushi – The Global Catch in schwächeren Momenten offenbart, dass nicht jedes Thema vor der Kamera gleich gut aufgehoben ist. Hall mischt in seinem Film die witzig-originelle Beschreibung des zunehmenden Sushi-Welterfolgs mit der versuchten Analyse der daraus resultierenden Gefahr von Überfischung. Dabei grenzt er seine Perspektive ganz auf den wertvollen Blauflossen-Thunfisch ein und stellt der allgemein formulierten Bedrohung ein paar wackere Fischhändler entgegen, die die Züchtung des Wildfischs voranbringen wollen. Eine TV-Reportage hätte hier auch mal eine Gegenfrage an einen wie Hagen Stehr stellen müssen, der noch vor Jahren selbst die Küste Australiens leerfischte und sich nun als sentimentaler Retter geriert, der in Forschung investiert.Besonders eine Szene führt vor, worin das Genre des konsumkritischen Dokumentarfilms oft versagt – im Aufzeigen des Für und Wider. Da sitzen zwei zusammen, ein Aktivist und Restaurantbesitzer und ein Fischhändler und -züchter. Beiden ist Nachhaltigkeit ein Anliegen, schließlich wollen sie im Business bleiben, sie verstehen darunter nur jeweils etwas ganz anderes. Was eine interessante Debatte sein könnte, verliert sich vor laufender Kamera schnell in ein paar vordergründig versöhnungswilligen Sätzen – schließlich will keiner von ihnen beim Streiten schlecht aussehen. Für den „Tu was“-willigen Zuschauer hält Sushi – The Global Catch übrigens am Ende einen verblüffend konkreten Rat bereit: Man soll eine App herunterladen.