Sie waren zwischen siebzehn und zwanzig, als der Golfkrieg begann. Hilde und Jochen aus der Gegend von Marburg und Bielefeld, Ivo, Miriam und Maria aus Berlin, damals noch Ost. Vor ihren Augen eskalierte ein Konflikt zum Krieg, und sie schauten zu. Geschockt, engagiert, fasziniert oder betroffen. Noch Schüler. Aber erwachsen genug, um wahrzunehmen, was um sie herum geschah. »Die Besetzung Kuwaits durch den Irak, das erste Ultimatum der Amerikaner, dann das zweite und immer die Hoffnung, die Iraker würden sich zurückziehen, wenn eine Weltmacht mit beinahe unbegrenzten Ressourcen wie die USA aufmarschiert«, sagt Hilde aus Marburg. »Ich habe auf die Vernunft gehofft.«
Zehn Jahre danach haben wir einige von ihnen befragt. Aber nicht alle antworteten. Manche tr
Manche trauten ihren Erinnerungen nicht, es sei so viel passiert inzwischen und überhaupt - das Leben geht seinen Gang, so oder so. Die meisten aber ließen sich auf unsere Fragen ein: Wie haben sie den Beginn dieses Krieges erlebt, was daraus für sich abgeleitet, wirken die Erfahrungen von damals nach? Zwei von ihnen arbeiten in Forschungsinstituten, einer im sensiblen Bereich der Gen-Forschung, ein anderer steht kurz vor dem Examen als Kriminalkommissar, eine der jungen Frauen studiert noch, was sie damals begann, Politologie hat sie ad acta gelegt, »das bringt sowieso nichts«. Eine arbeitet als Ärztin.Unterschiede zwischen Ost und West? Waren sie damals schon programmiert? Woran würden sie sich festmachen, wer engagiert sich bis heute und wer ist zur Fraktion der Politikverdrossenen übergelaufen?Für Ivo, Miriam und Maria aus Berlin eskalierte der Golf-Konflikt in erwarteter Weise, eine Illustration dessen, was sie über die Mechanismen imperialistischer Politik gelernt hatten. Es sollte keine anderen Möglichkeiten geben, den Irak zu stoppen? »Heuchelei« dachten sie damals, es gibt immer eine bessere Antwort. Gegen die einfachste, Gewalt, muss ten sie einfach auf die Straße gehen, sagen sie heute. Nicht weil sie jemand nötigte - »wer hätte das sein sollen, die Lehrer hatten mit der Wende im Herbst '89 jeden Vertrauensbonus verloren, und die Eltern waren auch nicht mehr die, denen man einfach nacheiferte«, sagt Maria - aber mit den Freunden, den Klassenkameraden gab es beinahe wortlose Übereinstimmung. Menschenrechte erschienen ihnen als Vorwand. »Blut für Öl - das war die Wahrheit« - die Lehrer durften nicht mehr mitreden, aber diese These schien sich zu bestätigen. Mit Straßenaufmärschen hatten gerade auch junge Leute den eigenen Staat ins Wanken gebracht, wenige Monate danach zweifelten sie keine Sekunde daran, dass jede Art verfehlter Politik durch Demos beeinflussbar wäre. »Eine Art Demo-Euphorie«, so Ivo, »im Golfkrieg geschah genau das, was ich von den USA erwartet hatte, weltweit Gendarm spielen, die Straße schien genau der richtige Ort, um den Protest rauszuschreien. Und eine ganz neue Art von Spaß war es auch. Wir, die Korrektoren, die Wachenden. Allerdings unsere Bemühungen, die Vorgeschichte des Konflikts zu berücksichtigen, fielen nicht übermäßig intensiv« aus.Anders bei Hilde und Jochen aus den alten Bundesländern. Der Aggressor Irak hatte Teile von Kuwait besetzt. Eine gravierende Menschenrechtsverletzung, darauf mussten sie reagieren. Es ging um das Wie, darüber sprach man mit den Freunden. »Man konnte kaum vermeiden, irgendwie Position zu beziehen. Aber ich erinnere mich auch, von Forum zu Versammlung gerannt zu sein, um rauszufinden, was angemessen und was falsch wäre«, sagt Jochen. »Am Ende stand für mich fest, das Selbstbestimmungsrecht der Kuwaitis war in einer Weise verletzt, die das Eingreifen der USA rechtfertigte. Ob dieser Konflikt überhaupt so eskaliert wäre, wenn es noch eine starke Sowjetunion gegeben hätte, darüber haben wir auch gesprochen, aber das brachte zu diesem Zeitpunkt ja schon lange nichts mehr ...«. »Die Bomben fielen schließlich, ein Schock für mich, es war meine erste bewusste Erfahrung mit Krieg«, sagt Hilde.Nach ein paar Wochen würde alles vorbei sein, dachten die meisten von ihnen wenigstens. Aber das stimmte nicht, und darüber sind sie bis heute entsetzt: »Die Ziele, die damals formuliert wurden, waren - so meine heutige Sicht - nicht ehrlich, es ging eben auch um die Kontrolle der Ölvorräte«, so Jochen. »Als Folge der Medien-Manipulation im Golfkrieg habe ich im Kosovo-Konflikt sehr viel kritischer die Berichterstattung beobachtet, und es hat mich einigermaßen entsetzt zu sehen, wie Journalisten lediglich kolportiert haben, was ihnen NATO-Generäle vorgekaut hatten.« Und Hilde sagt, »wenn es in der Golfregion nichts zu holen gegeben hätte, wäre das Problem mit anderen Mitteln gelöst worden. Das Medienspiel ÂSauberer Krieg habe ich niemals geglaubt. Ich wusste, unter Bomben sterben auch Menschen. Und ein Blick nach Afrika hat mir klar gemacht, dass Menschenrechte allein nicht als hinreichender Grund für ein Eingreifen gelten.« Fazit der beiden für die kommenden Jahre: Hinschauen, auch das kritisch betrachten, was scheinbar feststeht. Den gängigen Medien nicht einfach vertrauen, auch wenn sie einhellig argumentieren. Alle Informationsquellen nutzen.Das hat sie während der Kriege des zerfallenden Jugoslawiens stärker abwägen lassen. Auf die Straße ist keiner mehr gegangen. Aus West so wenig wie aus Ost. Die einen nicht, weil sie den Standpunkt, was da unten geschieht, geht uns nichts an, ablehnten und die NATO-Beteiligung für vertretbar hielten - auf die deutsche hätten sie vielleicht verzichtet - die anderen, die aus dem Osten, weil sie ihren Urteilen im Golfkrieg, es sei nur um das Öl gegangen, im Nachhinein misstrauten, sich erst mit den Vorgeschichten befassen wollten und über Menschenrechtsverletzungen als Motiv nachträglich wohlwollender nachdachten (Ivo), oder aber, wie Miriam, sich »einfach nur leer« fühlten, frustriert, es sei »so schrecklich egal gewesen, was sie gedacht oder getan hätten, außer Beschimpfungen, Unterstellungen wäre nichts geblieben ...« Die »Babysteps«, wie Ivo sie nennt, entmutigten, nicht nur, »wenn es um die ganz große Politik ging, sondern auch im lokalen Bereich«, in dem er sich noch eine Weile versucht hatte. Er zählt sich inzwischen zur politisch desinteressierten »Mitte«, gerade noch bereit, seine Stimme bei Wahlen abzugeben. Sichtbares Engagement? »Nein, danke«. Und auch Maria fühlt sich außerstande, etwas zu tun. »Ich sehe nirgends einen Weg. Natürlich kann man seine Meinung sagen, aber es hört doch niemand hin ...« Dass wir gefragt haben, empfand sie als wohltuend, »vielleicht sehe ich den vernünftigen Weg im Moment einfach nicht«. Sie registriert, was in der Politik wie läuft, aber sie traut sich nicht zu, ihre Meinung dagegen zu setzen. Auf der Straße so wenig wie auf andere Weise. »Ich weiß, das muss sich irgendwann ändern.«Im Moment können sich beide Seiten keine Situation vorstellen, in der es gerade auf sie ankommt. Und eine Partei, die genau das, was sie bewegt, politisch umsetzt, sehen sie auch nicht. Die, die sie wählen, bei zweien der drei aus dem Osten »noch« die PDS, ist das auch nicht. »An der Macht möchte ich die nicht sehen, dafür sind mir da noch zu viele Idioten drin«, sagt Ivo.Hilde und Jochen mit Sozialisation West verstehen den Frust der Ostler nicht und sehen für Verdrossenheit keinen Grund. »Kleine Schritte in der Politik sind normal«, sagt Hilde. Aber besonderes Engagement halten auch sie im Moment nicht für nötig. »Einfach allseitig informiert sein«, sagt Jochen. Dass man dafür immer mehr selbst tun muss, besorgt ihn. Nur in seinem Bereich Gen-Forschung hält er es für normal und unverzichtbar. »Einfach etwas ablehnen, aussteigen, würde ich nie, Projekt bezogen arbeiten, für das, was ich tue, Verantwortung übernehmen, kommt mir normal vor. Na ja, vielleicht gilt das auch für die Politik.«Nur in einem Fall sind sich Ost und West einig: Noch mehr Rechtsradikalismus wäre ein Grund für aktives Eingreifen. Im Moment, glauben sie, sei er mit den Mitteln, die Politik in einem demokratischen Land wie diesem hat, noch beherrschbar. Noch.