Wie wird man einen lästigen Moskito los? Mit Pflastersteinen um sich werfen? Wohl kaum. Doch nichts anderes tut der philippinische Präsident Joseph Estrada, dessen eigentlicher Familienname Ejercito ist - und Ejercito heißt "Heer". Entsprechend martialisch gebärdete sich der gleichzeitig als Oberkommandierender der Streitkräfte seines Landes fungierende Präsident, als er am vergangenen Wochenende die Operation Sultan befahl. Genervt und grimmig sah er in die Fernsehkameras: Man könne es nicht länger zulassen, dass die Abu Sayyaf das ganze Land als Geisel nähme. Obgleich diese Entscheidung wegen der Gefahren für die Kidnapping-Opfer schwierig gewesen sei, habe das Militär mit der jetzigen Operation, dem Angriff auf Stellungen der Abu Sa
Politik : Estradas Revanche auf Jolo
Mit dem Aufmarsch gegen die "Abu Sayyaf" könnte das Terrain für eine künftige Militärkooperation mit den USA vorbereitet werden
Von
Rainer Werning
, dem Angriff auf Stellungen der Abu Sayyaf, begonnen."Das ist wie unter den Japanern", berichtet ein Kriegsveteran aus Jolo City in einem der letzten noch möglichen Telefonate gegenüber dem Autor, "auch damals (im Zweiten Weltkrieg - R.W.) kamen Soldaten mit Landungsbooten und besetzten die Insel". Über 3.000 Soldaten - darunter aus dem Norden des Archipels abkommandierte Eliteeinheiten - gingen in dieser Woche mit Unterstützung von Kampfjets und Helikoptern gegen vermeintliche Stellungen der Abu Sayyaf außerhalb Jolo Citys vor. Allein während der ersten Angriffswelle sollen etwa 120 Menschen getötet worden sein - hauptsächlich Zivilisten. Dabei wurden auch sämtliche Verbindungen mit der Außenwelt gekappt, Telefonleitungen ebenso unterbrochen wie der Schiffs- und Flugverkehr von und nach Jolo.Die Art Kriegführung wie auch die Dimension der Operation lassen nur einen Schluss zu: Es soll unter Ausschluss der Öffentlichkeit und total gesäubert werden - wir erleben die Ausdehnung des erklärtermaßen "totalen Krieges" von Zentralmindanao auf Jolo. Mitte März hatte Manila mit der ersten militärischen Großoffensive in Zentralmindanao begonnen, um dort der mittlerweile bedeutsamsten und stärksten Organisation des Moro-Widerstandes, der Moro Islamischen Befreiungsfront (MILF), das Rückgrat zu brechen. Hauptziel war die Einnahme des Hauptquartiers Camp Abubakar, eines von insgesamt 46 der über ganz Mindanao verstreuten Lager, das am 9. Juli besetzt werden konnte. Doch der Sieg erwies sich als Pyrrhussieg - heute steht Estrada in Mindanao vor einem Scherbenhaufen. Auf Dauer wird sich diese Region als instabil und entwicklungsresistent erweisen. Dabei hatte es seit 1994 hochtrabende Pläne gegeben, dieses an Rohstoffen überaus reiche Gebiet unter Beteiligung der Anrainerstaaten Indonesien, Malaysia und Brunei in ein Wachstumsparadies zu verwandeln. Selbst militärisch sind die MILF-Verbände von der Regierung noch längst nicht in die Knie gezwungen. Stattdessen kehrten sie zur Strategie des Guerillakampfes zurück und ihr Vorsitzender Hashim Salamat rief zum jihad auf.Offenbar verfolgt Manila mit der Eskalation im Süden des Archipels ein zweifaches Kalkül: Ein "Fall Osttimor" sollte tunlichst vermieden und von innenpolitischen Erschütterungen abgelenkt werden. Estrada liebte es, wiederholt über eine "Pulverisierung" der "Moro-Sezessionisten" zu schwadronieren, sich damit als starker Präsident zu servieren, der es eben doch versteht, trotz bizarrer Kabalen und leidiger Korruptionsaffären entschlossen das Heft des Handelns in der Hand zu halten. Er erbrachte damit den eindrucksvollen Beweis, dass sich die Art des Krisenmanagements auf den Philippinen seit der Regentschaft von Ferdinand Marcos nicht geändert hat. Als der zwischen 1966 und 1986 eine autoritäre Amtsführung pflegte, war Estrada als langjähriger Bürgermeister in Manilas Bezirk San Juan Teil des politischen Establishments. Niemals wäre er auf die Idee gekommen, als Gegner der Diktatur in Erscheinung zu treten, was ihn jedoch nicht daran hinderte, sich als eine Art Galionsfigur der Post-Marcos-Ära zu empfehlen.In Berlin zeigte man sich nun plötzlich "beunruhigt" über Manilas Politik, und Jacques Chirac war "absolut nicht einverstanden" mit dem Angriffsbefehl des philippinischen Amtskollegen. Woher dieser Sinneswandel? Bisher war Estrada doch durchweg Friedfertigkeit bei der Lösung des Geiseldramas auf Jolo attestiert worden? Befänden sich dort nicht noch zwei französische Geiseln in "Sicherheitsgewahrsam" der Abu Sayyaf, kein Hahn krähte im Westen danach, was momentan auf Jolo geschieht. Die westlichen Krisenstäbe schauten weg, weil "ihre" Geiseln eben nicht in Zentralmindanao, sondern auf Jolo gefangen gehalten wurden.Erreicht Estrada das Ziel, die Abu Sayyaf auszuschalten? Zweifel sind angebracht. Zunächst einmal gibt es nicht die Abu Sayyaf, sondern verschiedene Fraktionen, benannt nach den Orten ihres Operationsgebietes: die Patikul-, Talipao- und Basilan-Gruppe. Alle drei wiederum genießen in unterschiedlicher Weise Rückendeckung durch Lokal- und Regionalpolitiker und stehen zumindest in Kontakt mit philippinischen Geheimdienstkreisen, die in der Vergangenheit die Basilan-Fraktion unterwandert und zur Desavouierung der gesamten politischen Agenda des Moro-Widerstandes instrumentalisiert hatten.Während Estrada den Marschbefehl für die Operation Sultan gab, stattete wohl nicht zufällig US-Verteidigungsminister William Cohen Manila einen Besuch ab, um anschließend nach Jakarta weiter zu reisen. Cohen versprach seinem philippinischen Amtskollegen Orlando Mercado mehr Assistenz bei der "Terrorismusbekämpfung" und segnete Manilas Vorgehen in Jolo ab. Darüber hinaus - ein Schelm, wer Böses dabei denkt - befinden sich nach Informationen des Freitag nahezu 200 Amerikaner, US-Militärberater und Eliteeinheiten der Green Berets in und um Zamboanga, das zugleich Sitz des für die Region zuständigen Südkommandos der philippinischen Streitkräfte ist. Die US-Präsenz wird mit dem im Sommer 1999 zwischen Washington und Manila getroffenen Visiting Forces Agreement (VFA) als "Routineangelegenheit" heruntergespielt. Das VFA sieht unter anderem vor, dass US-Truppen landesweit und auf unbestimmte Zeit Hafenstädte anlaufen und Flugplätze auf dem Archipel nutzen können. Gleichzeitig ist Jolo als Dschungel-Trainingszentrum zur regionalen Aufstandsbekämpfung im Gespräch. Mit dem Verweis auf nationale Sicherheitsbelange, Stabilität und die Wahrung von innerer Ordnung ist bekanntlich schon häufig Schindluder getrieben worden. Vielleicht ebnet Estrada mit seinem Vorgehen auf Jolo da "notwendige" Wege. Das jedenfalls wäre plausibler als seine vorgeschobenen Kriegsgründe.