Am 20. November beginnt die juristische Aufarbeitung des "Kölner Müllskandals". Knapp zwei Jahre dauerten die Ermittlungen. Es geht um Betrug und Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit beim Bau einer überdimensionierten Müllverbrennungsanlage. Obwohl die Angeklagten Ulrich Eisermann, Siegfried Michelfelder und Norbert Rüther in der Untersuchungshaft Geständnisse abgelegt haben, ist ein Mammutprozess zu erwarten. Bis September 2004 sind 69 Verhandlungstage geplant.
Eisermann, der ehemalige Geschäftsführer der privaten Müllfirma AVG, der die Angebotsunterlagen zugunsten der Baufirma Steinmüller manipulierte und dafür 9,5 Millionen DM bekam, ist wegen Bestechlichkeit und Untreue angeklagt. Der Schmiergeldzahler Michelfelder, Geschäft
chäftsführer von Steinmüller, muss sich wegen Bestechung verantworten, ebenso wegen Untreue, da er selbst 2,4 Millionen eingesteckt hat. Norbert Rüther, der ehemalige SPD-Fraktionsvorsitzende im Kölner Rat schließlich, soll sich der Beihilfe zu Bestechlichkeit und Untreue schuldig gemacht haben, weil er 424.000 Euro stückeln und auf viele Genossen verteilen ließ, damit die Spenden unter der meldepflichtigen Grenze von 10.000 Euro blieben.Die Verfahren gegen zwei Angeklagte wurden im Vorfeld abgetrennt. Karl Wienand, ehemaliger Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, der als Vermittler vier der insgesamt 21,6 Millionen DM Schmiergeld bekommen haben soll, ist nur vier Stunden pro Tag verhandlungsfähig. Ihm werden Beihilfe zu Bestechung und Untreue vorgeworfen. Der "rheinische Müllbaron" Helmut Trienekens ist ebenfalls verhandlungsunfähig und lediglich der Steuerhinterziehung angeklagt.Filigranes Netz der KorruptionIn medialer Stille wurden bereits zwei Gerichtsverfahren abgewickelt. Kölner Bürger klagten gegen überhöhte Abfallgebühren: Durch die Korruption sei die Müllverbrennungsanlage größer und teurer geworden als der Stadtrat beschlossen habe. Einige Monate nach Bekantwerden des Skandals hatte sich herausgestellt, dass der Ofen nicht mit der genehmigten Kapazität von 421.000 Tonnen gebaut worden war, sondern von 650.000 Tonnen. Doch das Verwaltungsgericht Köln wies die Klage ab: Korruptionsgelder seien für die Gebührenkalkulation unerheblich. Ähnlich urteilte das Verwaltungsgericht im Falle der Rhein-Sieg Abfallgesellschaft (RSAG). Hier hatte der rheinische Müllbaron den Geschäftsführer Karl-Heinz Meys bestochen. CDU-Funktionär und Karnevalsprinz Meys gestand, insgesamt 3,2 Millionen DM erhalten zu haben. Durch den Entsorgungsvertrag, den er Trienekens zuschanzte, wird die RSAG in den 15 Jahren der Laufzeit um 118 Millionen Euro geschädigt. Auch hier wies das Gericht die Klagen von Bürgern zurück: Eine Gebührenkalkulation könne noch so kriminell entstanden und mit überhöhten Kosten befrachtet sein, sie sei deshalb nicht unkorrekt. Das Oberverwaltungsgericht von NRW hat das Urteil bestätigt.Köln ist kein Einzelfall. Auch in anderen Städten Nordrhein-Westfalens sind auf merkwürdige Weise Müllverbrennungsanlagen gebaut worden. Immer wieder von denselben Firmen - Steinmüller, ABB, Babcock, von Roll. Wie es dazu kam, berichtete im Frühjahr 2002 der Ingenieur Hans Reimer, der vor einem Gericht in Hamburg auspackte. Reimers Planungsbüro diente bei vielen Müllverbrennungsanlagen zwischen Hamburg und Böblingen als Vermittlungsstelle für Schmiergelder. Die Landesregierung reagierte mit einer "Task Force": Sie sollte alle Vergabeverfahren in NRW untersuchen. Duisburg, Hamm und Krefeld rückten allerdings keine Akten heraus. Dennoch stellte Innenminister Fritz Behrens im Juni 2003 den Bericht mit der Bemerkung vor, die Entsorgungsbranche habe ein "flächendeckendes Netz der Einflussnahme auf politische Entscheidungsträger aufgebaut". Im Vorfeld hatte der NRW-Städtetag unter dem Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU) gegen die Untersuchungen protestiert. Und so bekam die Landesregierung schließlich Angst vor der eigenen Courage. Zwei Stunden nach der Vorstellung wurde der Bericht von der Internet-Seite des Ministeriums genommen, alle Mitglieder der "Task Force" haben absolutes Redeverbot bis heute.Anachronistisches StrafrechtDie durch Reimer gerichtsnotorisch gewordenen Schmiergeldzahlungen bei den Müllöfen in Neubrandenburg, Hamburg, Rostock, Ingolstadt, Bamberg, Brunsbüttel und Kaiseresch haben bisher keine dem Kölner Skandal vergleichbare juristische Bearbeitung gefunden. Bei den Anlagen in NRW, die jene "Task Force" untersuchte oder untersuchen wollte, herrscht ebenfalls weitgehend Ruhe. In Bonn wird seit zwei Jahren ermittelt. Dort hat der ehemalige CDU-Fraktionschef Reiner Schreiber mithilfe eines dichten CDU-Filzes mehr als das Dreifache seines Kölner SPD-Kollegen kassiert, und zwar für sich selbst, im Unterschied zu Rüther, der nur schwarze Parteikassen füllte. Ein Gerichtsverfahren steht noch nicht an.Pünktlich zum Prozessbeginn hat die Kölner Staatsanwaltschaft die 40 Ermittlungsverfahren abgeschlossen, die wegen der Stückelung der 424.000 Euro-Dankeschön-Spenden der Firmen Trienekens, Hochtief und anderer gegen 40 SPD-Genossen und -Genossinnen eingeleitet wurden. Das Stückeln und das Einreichen der illegalen Spendenquittungen gab in den Medien monatelang den eigentlichen Skandal im Skandal ab. Nach Parteiordnungsverfahren sind mehrere Spitzengenossen ausgetreten, der Vorstand der Kölner SPD wurde ausgewechselt. Die Genossen zahlen jetzt Geldbußen, die Ermittlungen werden eingestellt.Bevor nun gegen Eisermann, Michelfelder und Rüther verhandelt wird, hat das Kölner Gericht "empfindliche Strafbarkeitslücken" festgestellt. Obwohl der Bundesgerichtshof schon 1992 den Gesetzgeber aufgefordert habe, wegen der fortschreitenden Privatisierung das Strafrecht zu modernisieren, sei nichts geschehen. Nicht jede Korruption kann deshalb wirksam verfolgt werden. Dies gilt besonders für neuere Formen der Politikbeeinflussung, etwa für die Posten, die Müllbaron Trienekens an Politiker vergab. Ein SPD-Landtagsabgeordneter war parallel Pressesprecher der AVG, ein anderer ist gleichzeitig gut dotierter Geschäftsführer der Trienekenstochter Isis GmbH, die den Müllofen wartet. Dasselbe gilt für "Beraterverträge": Nach dem Skandal wurde bekannt, dass der Kölner CDU-Fraktionschef Rolf Bietmann jährlich 50.000 Euro von Trienekens bekam. Beim Kölner CDU-Hinterbänkler Heinz-Ludwig Schmitz wurde ein Beratervertrag mit jährlich 151.000 Euro bekannt. Diese Gaben flossen seit 1999, nachdem die Christdemokraten in Köln die Mehrheit errungen hatten. Auf Betreiben der CDU verkaufte die Stadt einen 49-Prozent-Anteil ihrer Abfallwirtschaftsbetriebe an Trienekens, obwohl die Firma des bekennenden CDU-Mitglieds zehn Millionen Euro weniger bot als Konkurrent Rethmann.All dies wird nie vor Gericht kommen, weil das Straf- und Zivilrecht keine geeigneten Tatbestände kennt. Bereits im Ermittlungsverfahren wurde vieles ausgeblendet. Seit 1991 hatte der damalige Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes dazu beigetragen, dass die öffentliche Ausschreibung umgangen und der Bauauftrag der Firma Steinmüller zugeschanzt wurde. Der damalige Kölner Oberstadtdirektor Lothar Ruschmeier peitschte als Aufsichtsratsvorsitzender der AVG die Auftragsvergabe in Rat und Verwaltung durch, wobei er vor Unwahrheiten nicht zurückscheute. Den Einflussnahmen dieser beiden Hauptantreiber wurde nie richtig nachgegangen. Ewig unschuldig bleiben auch in diesem Fall die Schweizer Rechtsanwälte und Tarnfirmenverwalter, die Schmiergeldflüsse professionell gestalteten und dafür 3,6 Millionen DM kassierten. Was jetzt in Köln vor Gericht mit großem Aufwand ab- und kleingearbeitet werden soll, ist also nur ein juristischer Restbestand. Den moderneren Varianten der Korruption ist das Strafrecht nicht gewachsen, und das soll offensichtlich auch so bleiben.