Die Taliban vor der Roten Linie

Pakistan Präsident Obama hat davor gewarnt, dass Pakistan an die Taliban fallen könnte. Im Nordwesten ist das teilweise längst geschehen und die Scharia zum Gesetz geworden

Zehn Tage, nachdem die pakistanische Regierung der Einführung der Sharia in der Nordwest-Region Swat zugestimmt hatte, bezogen Kämpfer der Taliban in den benachbarten Bezirk Buner (nur knapp 100 Kilometer von Islamabad entfernt) Stellung, um sich bald darauf wieder zurückzuziehen. Mehr als ein demonstrativer Akt, denn für die 650.000 Bewohner Buners sind die Taliban nicht nur das Gesetz. Sie stellen die Männer, die Straßensperren überwachen, in der Stadt patrouillieren und den Mitgliedern von Nichtregierungsorganisationen befehlen, ihre Büros zu räumen, um diese anschließend zu plündern. Die örtlichen Polizei bleibt währenddessen in ihren Kasernen. Für die Einwohner Buners ist der pakistanische Staat wie fast überall in der nordwestlichen Grenzprovinz, ein schwaches Konstrukt. Eigentlich mehr eine virtuelle Angelegenheit.

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US-Außenministerin Clinton hat mit Entsetzen auf die Ereignisse von Buner reagiert und dabei gewaltig übertrieben, als sie meinte: Pakistan stelle eine tödliche Bedrohung für die Weltsicherheit dar. Die Zentralregierung in Islamabad ließ sich davon wenig beeindrucken, reagierte mit positiver Lethargie, entsandte lediglich sechs Züge mit Paramilitärs (nicht einmal Soldaten der Armee), um die Kontrolle über Brücken und Straßen zurückzuerlangen. Premier Yousaf Raza Gilani meinte, Mrs Clinton müsse verstehen, dass die regionalen Traditionen die besten Garantien für einen Frieden in Swat seien, deutete aber auch an, dass ein Friedensabkommen an Bedingungen geknüpft sei. Wer von beiden deutet die Situation richtig?

Die geographische wie mutmaßliche physische Nähe der Taliban zu Islamabad ist irreführend. Es mag sein, dass sie von den Bergen herab kommen und die Ebene bedrohen. Aber deren Präsenz in Buner war eher Anlass zur Sorge für Mardan, die zweitgrößte Stadt in der Nordwest-Provinz als für den Punjab. Und es ist eine Sache, wenn Männer in dieser Region gesagt bekommen, ihre Frauen sollten zuhause bleiben. Es wäre etwas völlig anderes, würde das Gleiche im urbanen Gürtel geschehen, der sich von Islamabad bis nach Lahore erstreckt, wo allein der Gedanke daran lachhaft ist. Würden die Taliban versuchen, in einer Millionen-Metropole wie Karatschi die Scharia einzuführen, würde das zu einem Blutvergießen führen. Und was die Frage angeht, ob Pakistan an die Taliban fällt, lautet die Antwort, dass dies mit Teilen des Landes längst geschehen ist, was im Umkehrschluss keinesfalls heißt: Jetzt ist das ganze Land in Gefahr, auch wenn die Gotteskrieger im ganzen Land Sympathisanten haben.

Eines freilich lässt sich mit Bestimmtheit sagen, das Verhältnis zwischen den USA und Pakistan ist festgefahren. Keiner kann den anderen fallen lassen, aber gleichzeitig kann keiner dem anderen das bieten, was er haben möchte. Die pakistanische Armee verfügt weder über die Macht noch den Willen, die Taliban vernichtend zu schlagen. Nach Ansicht der Generale, die sich selbst heute noch weigern, ihre Verbindungen mit den Taliban aufzugeben, haben die Streitkräfte den Kurs, strategischen Einfluss in Afghanistan zu erlangen, gegen eine Politik eingetauscht, die darauf zielt, strategischen Einfluss im eigenen Land auszuüben. Ob es sie dabei stört, dass Videoaufnahmen kursieren, die zeigen, wie die Taliban eine junge Frau mit Stockschlägen bestrafen? Man kann daran ablesen, dass es rote Linien gibt, die von den Taliban noch übertreten werden muss. Es ist schwer zu begreifen, aber viele in der Armee wollen noch warten, bis eben dies geschieht.

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Editorial, The Guardian | The Guardian

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