Er ist das letzte verbliebene Regierungsbündnis von SPD und Linkspartei und gilt als Labor für künftige Kooperationen auch auf Bundesebene: der rot-rote Senat in Berlin. Den Sozialdemokraten in der Hauptstadt hat das den Ruf eingebracht, in ihrer Partei eher links zu stehen. Beim Koalitionspartner verhält es sich genau anders herum, die Berliner Regierungssozialisten gelten in den eigenen Reihen als Realos, die im innerparteilichen Koordinatensystem eher rechts verortet werden.
Nun haben zwei Personalien die bisherige Drei-Stimmen-Mehrheit von Klaus Wowereit in Gefahr gebracht. Am Dienstagnachmittag verließ die SPD-Abgeordnete Canan Bayram ihre Fraktion in Richtung Grüne. Bei der Linkspartei hatte bereits vorher der Haushaltspolitiker Carl Wechselberg aus Prote
on in Richtung Grüne. Bei der Linkspartei hatte bereits vorher der Haushaltspolitiker Carl Wechselberg aus Protest gegen einen vermeintlichen Linksruck der Linken seine Ämter niedergelegt und öffentlich mit einem Austritt aus Partei und Fraktion geliebäugelt. Den Verlust der Mehrheit im Abgeordnetenhaus hätte das nicht zwangsläufig bedeuten müssen, da Wechselberg als Realo am ehesten zur SPD wechseln würde und überdies erklärt hat, den rot-roten Senat weiter stützen zu wollen. Nun heißt es, der 40-Jährige werde der Linksfraktion erst einmal die Treue halten.Nur noch eine Stimme MehrheitEin „politische Erdbeben“, von dem die Opposition spricht, ist das Ganze also vielleicht nicht unbedingt. Auch, weil beide Personalien eher durch parteiinterne Differenzen begründet sind und es sich eben nicht um einen koalitionären Streit handelt. Etwas von einem rot-roten Wackelpudding hat der Senat aber jetzt dennoch. Schließlich macht es einen Unterschied, ob sich eine Regierung nur noch auf eine Stimme Mehrheit stützen kann oder ein dickeres Polster zur Verfügung hat.Eng war es für Rot-Rot schon öfter. Bereits bei der Wahl für seine zweite Amtszeit als Regierender Bürgermeister bekam Wowereit erst in der zweiten Runde eine knappe Mehrheit von nur einer Stimme. Ein weiteres Beispiel: Bei der umstrittenen Schülerdatei war lange unklar, ob Rot-Rot das eigene Lager vollständig mobilisieren kann. Das Gesetz bekam im Februar 2009 zwar mit Stimmen von SPD, Linken und CDU eine komfortable Mehrheit, in der Linkspartei hatten sich aber Gegner gesammelt, eine Abgeordnete stimmte schließlich mit Nein. Zuletzt häuften sich die Drohgebärden zwischen den Regierungsparteien sogar.Disziplinierende GedankenDie linke Fraktionschefin Carola Bluhm meint nun, die knappe Mehrheit von einer Stimme – 75 Abgeordnete stellt Rot-Rot, CDU, FDP und Grüne bringen gemeinsam 74 auf die Waage – „schweißt eher zusammen“. Das stimmt wohl, sagt aber wenig über real existierende Gemeinsamkeiten innerhalb der Fraktionen und in der Koalition aus – aber einiges darüber, welche disziplinierende Kraft der Gedanke über den möglichen Verlust von Macht entfalten kann. Völlig sicher können sich beide Parteien ohnehin kaum sein, dass ihre Abgeordneten jetzt zusammenrücken.Ist nicht ebenso denkbar, dass es in der Bundes-SPD Kräfte gibt, die ein Interesse daran haben könnten, dass die rot-rote Regierung zerbricht – zum Beispiel, um etwaigen Koalitionen in Thüringen, Sachsen und dem Saarland „vorzubeugen“ oder Wowereits über Berlin hinausgehende Ambitionen zu torpedieren? Vielleicht nutzt die SPD ja auch die nächste sich bietende Gelegenheit, um in der Hauptstadt die rot-grüne Karte zu ziehen. Die hätte eine deutlichere Mehrheit und passt auch besser in die bundespolitische Strategie der Sozialdemokraten, schon gibt es erste Forderungen in diese Richtung.Und ist nicht ebenso möglich, dass mancher in der Linkspartei sich einen Vorteil davon verspricht, wenn die ohnehin ungeliebten Realos und mit ihnen die Option des Mitregierens durch einen Verlust der rot-roten Mehrheit geschwächt werden? Immerhin glauben nicht wenige in der Partei von Oskar Lafontaine, die Linke müsse ihre Zukunft auf der Oppositionsbank suchen, nicht am Katzentisch irgendwelcher Mitte-Links-Regierungen.Keine AusstrahlungskraftBei vielen Sozialdemokraten wird die Koalition als Sonderfall gehandelt, der sich nicht ohne Weiteres auf andere Länder übertragen lasse. Oder die SPD sieht sich, was auch nicht besser ist, in der Rolle des Dompteurs, der die bösen Postkommunisten nur mitregieren lässt, um sie als parteipolitische Konkurrenz und als Linke zu entzaubern. In der Linkspartei halten viele die Regierungsbeteiligung in Berlin auch deshalb für eine eher belastende Hypothek. Man könne in einer solchen Konstellation auf Landesebene nichts gewinnen – und verliere trotzdem seine Glaubwürdigkeit.Das rot-rote Regierungslabor beweist zwar, dass beide Parteien miteinander können. Daran ändern weder Wechselbergs Rücktritt und Bayrams Wechsel etwas. Die Zusammenarbeit von SPD und Linkspartei hat auch begrüßenswerte Ergebnisse hervorgebracht. Ein Projekt mit Ausstrahlungskraft, ein Argument für jene, die eine Mitte-Links-Regierung auf Bundesebene für richtig halten, ist aber nie daraus geworden.