So wie bisher kann es ja wohl nicht weitergehen“, schimpft Christian Hiß aus der kleinen Gemeinde Eichstetten am Kaiserstuhl. „Ich war 28 Jahre selbstständiger Gärtner und habe in dieser Zeit erfahren, dass die herkömmliche Betriebswirtschaft einen sozialökologischen Raubbau betreibt.“
Der Gärtnermeister und Biobauer will nicht nur reden. Vor drei Jahren hat er deshalb eine Aktiengesellschaft gegründet, die „Regionalwert AG“. Damit will er „eine wirtschaftlich erfolgreiche und sozial-ökologisch vertretbare Wertschöpfungskette“ erschaffen. Und zwar vom Acker bis auf den Teller.
Ein Problem der Landwirtschaft sei, so sieht es Hiß, die „betriebswirtschaftliche Perspektive“. Landschaftliche Vi
andschaftliche Vielfalt, Bodenfruchtbarkeit, langfristige Fruchtwechsel, aber auch der Acht-Stunden-Tag, Tariflöhne und die Ausbildung von Fachkräften seien aus dieser Sicht „bloße Kosten. Und Kosten gehören minimiert“, sagt Hiß. Er hingegen ist überzeugt davon: „Man muss die Gesamtrechnung aufmachen und die sozialökologischen Werte, die die Landwirtschaft schafft – oder schaffen kann – ebenso berücksichtigen, wie den monetären Gewinn.“ Man könne fast schon sagen: „Ein betriebswirtschaftlicher Gewinn ist in der Regel ein volkswirtschaftlicher Verlust. Und ökologische Verluste sind soziale Verluste.“ Die Schäden jedoch, die die industrialisierte, kapitalistische Landwirtschaft verursache, würden in keiner Bilanz auftauchen.Beteiligung der BürgerMit seiner Regionalwert AG will Hiß ein „Gegenmodell“ schaffen, indem sie kleinen Höfen eine langfristige Perspektive verschafft: Dazu erwirbt die AG landwirtschaftliche Betriebe sowie Unternehmen aus vor- und nachgelagerten Bereichen in der Region Freiburg und verpachtet sie an qualifizierte Unternehmer, die nachhaltig und nach ökologischen Kriterien wirtschaften können und wollen. Er sei zwar nicht „gegen die Kapitalwirtschaft“ wie er betont – er möchte sie aber mit ihren eigenen Mitteln zähmen. In der Rechtsform der Aktiengesellschaft sieht er die „ideale Form, um in der Landwirtschaft etwas zu bewirken. Da muss man eben richtig viel Geld in die Hand nehmen. Ein paar Spenden reichen da nicht.“ Außerdem biete die Aktiengesellschaft Kapitalstabilität und ermögliche eine breite Beteiligung der Bürger an der Landwirtschaft in ihrer Region.Den Anfang machte Christian Hiß selbst: Vor drei Jahren übertrug er seinen eigenen Hof im Wert von rund 400.000 Euro der Agrar-Aktiengesellschaft als Grundkapital. Der Betrieb bestand damals aus einem Gemüseanbau mit 14 Hektar, einem Stall mit 25 Milchkühen und einer dazugehörenden Käserei.Hiß, dem man ansieht, dass er fast drei Jahrzehnte mit eigenen Händen die Erde am Kaiserstuhl beackert hat, arbeitet heute nicht mehr auf dem Feld, sondern als geschäftsführender Vorstand der Regionalwert AG in einem kleinem Büro in seinem Elternhaus in Eichstetten. Mehr als 350 Aktionäre konnte Hiß inzwischen von dem Geschäftsmodell überzeugen, die Mindesteinlage beträgt 500 Euro. Inzwischen hat der Gärtnermeister für seine nicht an der Börse notierte Mini-AG über 1,4 Millionen Euro Kapital akquiriert. Demnächst soll noch weiter aufgestockt werden.Den Aktionären winke, so Hiß, kein maximaler Geldgewinn, sondern zunächst einmal „die sozialökologischen Werte, die wir schaffen“, also immaterielle Werte. „Das wird jetzt vielleicht belächelt, aber ich bin mir sicher, dass sich diese Strategie früher oder später auch materiell auszahlen wird.“ Eine ganz persönliche Rendite konnte Hiß im November dieses Jahres einfahren: Für sein Konzept zeichnete ihn der Rat für Nachhaltige Entwicklung aus: als „Social Entrepreneur der Nachhaltigkeit“.Die Gärtnerei, der Stall und die Käserei sind seit der Gründung der AG verpachtet, dort arbeiten heute 14 Beschäftigte – allesamt Fachkräfte, wie Hiß stolz berichtet: „Wir verzichten natürlich auch auf den Einsatz von Saisonarbeitskräften.“ Inzwischen hält die AG auch stille Beteiligungen an zwei Biohändlern und finanziert Existenzgründungen – etwa die eines jungen Obstbauern, der keinen eigenen Hof geerbt hat und mit Unterstützung der Regionalwert AG neue Obstbaubäume für Neupflanzungen kaufen konnte – für Hiß ein Beweis dafür, dass das Modell funktioniert. Unterstützen will man auch Betriebe, bei denen die Hofnachfolge in der Familie nicht geklärt werden kann – solche Höfe könnte man aufkaufen und durch Verpachtung erhalten.Hiß selbst, der als Biobauer so viel bewegt hat, sagt: „Eigentlich wollte ich den Betrieb meiner Eltern damals nicht übernehmen. Bauer war nicht mein Traumberuf, sondern eher mein Alptraumberuf. Aber ich habe mich damals dazu verpflichtet gefühlt. Meinen eigenen drei Kindern wollte ich Möglichkeiten erhalten, aber sie sollten nicht müssen.“ Die familiären Zwänge der Traditionsfolge hält er für inhuman – „Landwirtschaft muss unabhängig davon funktionieren, ohne Druck, und mit Menschen, die wissen, was sie im Leben wollen.“Gemeinsam – oder Untergang„In fünf Jahren wollen wir zehn Betriebe und 20 Beteiligungen halten – so dass die Wertschöpfungskette langsam rund wird“, sagt Hiß. Unter einer „runden Wertschöpfungskette“ versteht Hiß etwa folgendes: Das Futter für die Milchkühe kommt von den Kleegrasflächen der Gärtnerei. Die Milch wird in der benachbarten Käserei verarbeitet, Fleisch und Käse werden im Hofladen der Gärtnerei verkauft – die wiederum weitere Wiederverkäufer und Verarbeiter beliefert, etwa die Uniklinik in Freiburg. Und das ist erst der Anfang: „Wir wollen in sämtliche Wertschöpfungsstufen reinkommen“, sagt Hiß, „Großhandel, Einzelhandel, Verarbeitung, sämtliche Arten der Urproduktion bis hin zu Gastronomie und Saatgutproduktion.“Die Idee hinter dem Agrar-Netzwerk: „In manchen Bereichen, etwa im Bio-Einzelhandel oder in der Verarbeitung, gibt es Kapitalrentabilitäten von 100 Prozent. Wenn wir da reinkommen, können wir eine Mischkalkulation machen und auch einzelne Betriebe umsonst verpachten. Große, leistungsfähige Betriebe würden dann kleinere subventionieren“, sagt Hiß – solche etwa, die aus betriebswirtschaftlicher Sicht unrentabel sind. Der kleine Bergbauer im Schwarzwald zum Beispiel, der zwar nur halb so viel Milch produziert, wie dessen Konkurrent im Flachland, „aber eben einen wertvollen sozial-ökologischen Beitrag leistet, indem er die Landschaft pflegt“.Gerade für kleinere Betriebe werden solche „Netzwerke entlang der regionalen Wertschöpfungskette wichtig für ihre weitere Existenz sein“, wie Hiß sagt. Oder anders formuliert: Wer sich nicht mit anderen zusammentut, wird untergehen.
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