Steilvorlage für Rösler

Kopfpauschale Die Inkubationszeit ist vorbei. Die Gesundheitsreform brütet aus, was in ihr schlummert: Nicht etwa die Bürgerversicherung, sondern der Einstieg in die Kopfpauschale

Acht Euro, unterschiedslos für jeden Versicherten, unabhängig vom Einkommen, für die Kleinstrentnerin wie für den gut verdienenden Techniker. Nicht der erste Tabubruch in der solidarischen Krankenversicherung. Auch der seit Juli 2005 fällige einseitige Beitragsaufschlag von 0,9 Prozent, Praxisgebühren und Zuzahlungen gingen allein zu Lasten der Versicherten. Dennoch markieren die acht Euro den Einstieg in einen Umbau des gesamten Systems.

Daran ändert auch nichts, dass sich die Allgemeinen Ortskrankenkassen als größte Versicherer bislang noch zurückhalten und kleinere Krankenkassen Versicherte mit dem Versprechen abwerben, keinen Sonderbeitrag zu erheben. Für die AOKs mit vielen einkommensschwachen oder beitragsfreien erwerbslosen Versicherten lohnt sich der Einstieg in die Zusatzprämie nicht. Sozialexperte Bernd Rürup prophezeit, dass sie – obwohl qualitativ gut aufgestellt – mittelfristig unter Druck geraten. Die Wechselwilligen ihrerseits werden feststellen, dass sie ihr Sonderkündigungsrecht vielfach gar nicht nutzen können, weil Wahltarife oder Zusatzversicherungen an die alte Krankenkasse binden. Hier rächt sich die von den Kassen vor Jahren kühl kalkulierte Spreizung ihrer Produktpalette. Doch auch ein Wechsel beschert nur kurze Freude – am Ende werden fast alle Kassen den Zusatzbeitrag erheben.
Für FDP-Gesundheitsminister Rösler wirkt das Vorpreschen der Kassen wie eine Steilvorlage. Für den Zusatzbeitrag politisch nicht verantwortlich, nutzt er die allgemeine Empörung, um für den Systemumbau, den er mit großzügigem Sozialausgleich schmackhaft machen will, zu trommeln. Woher die rund 25 Milliarden Euro kommen sollen, die es kosten würde, um die Kopfpauschale sozial halbwegs abzufedern, weiß niemand. Bislang weigert sich der Bund sogar, den Beitragstransfer für die Erwerbslosen von den lächerlichen 125 auf das immer noch niedrige Niveau von 250 Euro zu heben. Das würde nicht nur die Kassen entlasten, auch die betroffene Patientengruppe aus der Schmuddelecke holen.

Dagegen setzt Räsler just in der gleichen Woche, in der die Krankenkassen zur Kasse bitten, den Chef des Kölner Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit, Peter Sawicki, vor die Türe und räumt damit den schärfsten Kritiker der Pharmaindustrie aus dem Weg. Er hatte schließlich versprochen, die Ärzteschaft von der „Kontrollitis“ zu befreien, mit der sie Vorgängerin Ulla Schmidt (SPD) zur Räson bringen wollte. Dieser berufsjoviale, Lobby freundliche Aktionismus ist nichts im Vergleich zur Deckelung des Arbeitgeberanteils zur Krankenversicherung. Wenn die Unternehmen das Interesse an der Beitragsstabilität verlieren, sind der Kostenexplosion Tür und Tor geöffnet. Man fragt sich dann freilich auch, weshalb Wirtschaftsvertreter dann noch in den Selbstverwaltungen der Sozialversicherungen mitspielen dürfen.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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