Zeitgeschichte Zum 100. Geburtstag des großen Publizisten. Er hat mit unverwechselbarer Stimme etwas dafür tun wollen, dass die Bundesrepublik ihre demokratische Chance auch nutzt
Aufklärung zu betreiben von jedwedem Platz aus, … also auch vom Schreibtisch des Journalisten“. Lebensmotto des Publizisten Erich Kuby, von dem der Freitag viele Jahre (1992 – 2003) mit der Kolumne Der Zeitungsleser profitierte. In kurzen, treffenden Charakterisierungen der aktuellen Politik und ihrer publizistischen Reflexe hob er Widersprüche, Ungereimtheiten, Verzerrungen ins Bewusstsein und erreichte damit oft mehr Erkenntnis als bei langatmigen Aufsätzen. Seine Rubrik verstand sich nicht als Analyse, eher als Marker. Geeignet, jenen Punkt zu unterstreichen, von dem aus der Leser weiterdenken, selbst Schlüsse ziehen sollte.
Dabei machte sich Erich Kuby nie Illusionen. Er glaubte weder an „das Volk“, dessen Mehrheit nur eines Anstoße
stoßes bedarf, um richtige Entscheidungen zu treffen, noch an die gestalterische Kraft bundesdeutscher Politik. Wohl aber an die kritische Vernunft, falls sie aufklärend daher kommt. Er misstraute dem, was als wahr gilt, nur weil viele es für wahr hielten, und setzte in jedem Fall die abwägende Überlegung davor. Diesem Prinzip wollte er in seinen späten Jahren über den Freitag einen Weg ebnen. Nach Wende und Wiedervereinigung schien ihm das nicht weniger nötig als zu Boomzeiten der Bundesrepublik, da er seine Essays, Reports, Bücher und Skripte an deren Widersprüchen schärfte.Der 1910 in Baden-Baden Geborene gehörte zu den wenigen westdeutschen Nachkriegsjournalisten, die sich Kraft ihres Worts ins Gedächtnis gruben. Aufklärern wie ihm ging es vorrangig um das, was er selbst die „Freisetzung des kritischen Ichs“ nannte. Er fügte hinzu, nicht viel mehr zu verlangen als „einen bescheidenen Gebrauch von Intelligenz, das nenne ich die Entdeutschung“. Das Pflänzchen Demokratie im Westen Deutschlands, das er nicht übersehen wollte, hatte für ihn keine deutschen Wurzeln. Die mussten erst wachsen. Das politische Klima schien ihm dafür ungeeignet. „Die Rückkehr Deutschlands in die Politik vollzieht sich ohne Schuldbewusstsein“, konstatierte er 1990. Ihm war aufgefallen, in welchem Maße anderen Schuld zugewiesen wurde, wenn etwas schief lief. Woran sich bis heute wenig geändert hat.Deutsche AngstLange bevor das Schlagwort von der „deutschen Angst“ in den tonangebenden Medien besonders dann kursiert, wenn Einschnitte ins Sozialsystem zu Streiks führen oder Bankendefizite über Steuergelder und Spargroschen ausgeglichen werden, beschrieb Kuby 1969 deutsche Angst in seinem gleichnamigen Buch als bösartig sich äußernde „Intoleranz“, mit der die „spätkapitalistische Gesellschaft ihre jetzigen privaten Lebensumstände und damit auch die staatliche und politische Ordnung, welche diese zu garantieren scheint, gegen jede tatsächliche oder auch befürchtete Beeinträchtigung“ verteidigt. Und fügte ausdrücklich hinzu, wen er meinte: „Ein moralisch indifferentes neureiches Besitzbürgertum“. Dieser Zusatz ist in den Jahrzehnten danach verloren gegangen. Geblieben ist das Gespenst, das immer dann aus dem Dunkel kriecht, wenn Entscheidungen ganz anders als gewohnt ausfallen könnten. Bundesdeutsche Politiker, so Kuby, entschieden sich immer für den Erhalt dessen, was gerade opportun sei. Was einen Wandel hin zu verbesserten Verhältnissen bewirken könne, bleibe obsolet.Von der Gründung beider deutscher Staaten einmal abgesehen – Erich Kuby schreibt sie den Besatzungsmächten und den von ihnen verordneten Neuanfängen zu – blieben für ihn darüber hinausgehende politische Ansätze ausgeschlossen. Er beschreibt diese Defizite nicht nur für den Westen, er sieht 1970 in einem Essay die DDR ähnlich konservativ grundiert. Gefangen in ihren Widersprüchen und unfähig, daran etwas zu ändern. Beide deutsche Staaten würden daran zerbrechen, glaubt der Autor. Für die DDR ist es 1990 soweit.Die deutsche Einheit wäre ein Signal gewesen, das in andere Richtungen weist und auch die bis dahin existierende Bundesrepublik zur Disposition stellt. Es wurde überhört. Wieder siegte die Phalanx der Restauration gegen den Willen zur Innovation. Das einige Deutschland wurde nach dem Muster bundesdeutscher Funktionseinheiten geformt, was zu absurden Umwegen führt. Ärzte raus aus den Polikliniken, hinein in bezuschusste Privatpraxen, dann doch die Rückkehr in Ärztehäuser, verbunden mit Milliarden an Kosten, um nur ein Beispiel zu nennen.Prägende WellenbewegungenFür die Nachwendezeit sieht Kuby deshalb nur „Wellenbewegungen, keine strategischen Entscheidungen, die die neue Republik prägen“ könnten. Diese Politik, die er „Rolle rückwärts“ nennt, beschreibt er für die verschiedensten Zeiträume. Auch für die Anfangsjahre der Bundesrepublik mit ihrer Verharmlosung der Nazidiktatur und Entlastung all derer, die sie mit getragen haben. Er deutet dies als Ursache für eine latente, bis in die neunziger Jahre reichende Rechtsdrift, als in der „Aufarbeitung“ der beiden „Diktaturen in Deutschland“ und der Gleichsetzung von Nazi-Herrschaft und DDR-Staat eine fatale Verharmlosung des Massenmords am jüdischen Volk steckt.Erich Kuby war Zeit seines Lebens ein politischer Geist, dem auch marginale Veränderungen nicht entgingen. Und der über die journalistischen Mittel verfügte, sie zu beschreiben. Eine erste Nachkriegs-Generation der Bundesbürger hatte sich in den fünfziger Jahren zu honorigen Moralaposteln gerappelt, die ihre Wirtschaftswunderexistenz zur Schau stellten. Autos wurden Statussymbole. Wohnungen, immer noch Mangelware, avancierten zu „Ich habe was, ich bin was“, Pelzmäntel wiesen auf den wohl situierten Ernährer der Familie. Kuby, der scharfe Beobachter, schrieb 1958 mit Rosemarie. Des deutschen Wunders liebstes Kind über die Edelhure Rosemarie Nitribit, die zur Gefahr für die neue Respektabilität wird – der nach seinem Skript entstandene Film ist ein Straßenfeger.Das mit gleicher Akribie recherchierte Buch über den Skandal der angeblich entdeckten Hitler-Tagebücher und deren Veröffentlichung in der Illustrierten Stern traf 1983 auf weniger Begeisterung. Zwar lugte in allen Medien Häme hinter den Zeilen hervor, die über den Reinfall der Stern-Redaktion verfasst wurden, zwar gönnte man dem bis dato erfolgreichen Blatt die Blamage und befand auf „plumpe“ Fälschung. Aber warum jede Redaktion der bunten Presse das Elaborat überaus willig gedruckt hätte, warum der Absatz der Ausgaben, in denen die angeblichen Aufzeichnungen Hitlers zu lesen waren, so exorbitant in die Höhe schnellte, warum der „ganz neue Hitler“ (Werbeslogan) ein solches Echo fand, dass der Stern gar nicht so viel drucken konnte, wie nachgefragt wurde. Welche Gesellschaft das war, in der das mutmaßliche Originalwort eines Volksverhetzers, Kriegsverbrechers und Massenmörders so begierig gelesen wurde – das wollte keiner so genau wissen.Der Fall SternEbenso wenig interessierte, warum der ursprünglich am Buch Kubys interessierte Verlag den bereits produzierten Titel zurückzog. Es sollte dauern, bis Der Fall Stern und seine Folgen schließlich woanders erscheinen konnte. Kubys Fazit, dass die herrschenden Verhältnisse eine „allgemeine Anfälligkeit für faschistische Vorstellungen und Praktiken“ fördern, genau das sei mit dem „Fall Stern“ drastisch bewiesen, passte so gar nicht zum Renommee der demokratisch geläuterten Republik. Es war höchst unpopulär. Das konforme Ja zur Bundesrepublik, das damals zu den Selbstverständlichkeiten gehörte und immer noch gehört, das jeder politisch agierenden Person und Gruppierung abgefordert wird, basiere, so Kuby, auf jener gemächlich vor sich hin schmorenden Suppe, in der die Eliten den Geschmack bestimmen.Zuletzt war er auf Abstand zu Deutschland bedacht und hatte sich nach Venedig zurückgezogen – dort verstarb Erich Kuby am 10. September 2005.
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