Von Horst Seehofer bis Samuel Huntington

Integration Schon die Nationalsozialisten wussten den "Kulturkreis" zu schätzen. Der Christsoziale Seehofer verhilft diesem überholten Konzept im Migrationsdiskurs zu einem Revival

Sagte also Horst Seehofer: „Es ist doch klar, dass sich Zuwanderer aus anderen Kulturkreisen wie aus der Türkei und arabischen Ländern insgesamt schwerer tun. Daraus ziehe ich auf jeden Fall den Schluss, dass wir keine zusätzliche Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen brauchen.“ Kulturkreis! Damit ist es ihm gelungen, ein längst überholtes Konzept wieder in den Diskurs über die Migration einzuführen: Und schon schwadronieren Gegner wie Unterstützer des bayerischen Ministerpräsidenten von den „anderen Kulturkreisen“, die Deutschland offenbar bedrohen.

Die Lehre von den Kulturkreisen entstammt der Feder des Ethnologen Leo Frobenius. Sie basierte allein auf theoretischen Grundlagen – und hielt dem ­Praxistest nie stand. Mit ihr im Gepäck bereiste Frobenius Anfang des 20. Jahrhunderts Afrika und verwarf sie aufgrund der dort gewonnenen Erfahrungen wieder. Was ein paar christliche ­Missionare allerdings nicht daran hinderte, mit dem Konzept vom Kulturkreis zwischen ursprünglichen und dekadenten Kulturen zu unterscheiden. Die ­Nationalsozialisten bedankten sich herzlich, da es ihnen das Vokabular für ihre Rassentheorie zur Verfügung stellte. Und das ist ja kein Zufall: Wer die Kultur mit der geografischen Figur des Kreises zusammenschließt, der dichtet sie ab nach außen, schreibt sie ein in eine ­Topografie, die aus ihrem Elitarismus keinen Hehl macht. Es hieß eben George-Kreis und nicht George-Club: Kreis, das klingt so wunderbar natürlich ­gewachsen und geheimnisvoll, fest­gelegt und geschlossen.

Ein Kreis mag größer werden – sofern er nur immer Kreis bleibt, sein Rand kein Ende und keinen Anfang, keine Ecken und Kanten kennt, er keine Schnittmengen, sondern einzig Grenzen aufweist, und er sein Innen und sein Außen genau definiert. Wenn der Kreis sich schließt, das weiß die Rhetorik, dann ist etwas zu einem guten Ende gebracht. Auch Frobenius schien an der statischen Räumlichkeit immerhin ein wenig zu zweifeln: In der bald von ihm favorisierten Theorie sprach er jedenfalls von „Kulturmorphologie“.

Doch das ficht den Christsozialen Seehofer nicht an, und so sind sie nun wieder da, der Pater Wilhelm Schmidt und der Pater Wilhelm Koppers, die einst festgestellt hatten, dass man sich den Urkulturkreis, jenen wertvollsten aller Kulturkreise, aus dem alle anderen hervorgingen, monotheistisch, patriarchal und monogam vorzustellen habe. In einem Wort gesagt: christlich.

Mit ähnlich hegemonialem Anspruch und der Referenz auf agonale „Kulturkreise“ erklärte 1993 auch Samuel Huntington in seinem Kampf der Kulturen die Welt: Es gäbe da den islamischen, den hinduistischen, den orthodoxen und ein paar heidnische. Nur einen christlichen, den gibt es nicht, den nannte Huntington schlicht „westlich“, meint: rational, aufgeklärt, säkularisiert. Statt „Religion“ sagt man im Westen eben lieber „Kultur“ – um über die religiöse Grundierung hinwegzutäuschen, um die imperiale und bestens kapitalisierbare Logik des Christentums zu übertünchen. So verstanden, bildet der Islam einzig und allein eine Konkurrenz zum Christentum. Nun wird man eben schauen müssen, ob die Deutschen noch lernen, sich als Bewohner einer globalen Welt zu begreifen. Oder ob sie sich lieber in ihrem christlichen „Kulturkreis“ einschließen wollen, den man notfalls auch mit Waffengewalt im ganzen Erdkreis verteidigt.

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Geschrieben von

Katrin Schuster

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