Im Jagdfieber

Zeitbomben Nach dem Fund einer Paketbombe, die mutmaßlich aus dem Jemen stammen soll, scheint die Schuldfrage geklärt. Dabei wäre mehr denn je Ursachenforschung gefragt

Bei Terrorgefahr schlägt die Stunde der Exekutive. Dass die mutmaßlich aus dem Jemen stammende Sprengfracht kurz vor der US-Kongresswahl nach einem Tipp des saudischen Geheimdienstes entdeckt wurde, musste Präsident Obama nicht ungelegen kommen. Was spielte es da für eine Rolle, dass die Luftfahrtbehörde der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) erklärte, Flug Nr. 201 habe gar keine Pakete aus dem Jemen befördert? Und Mohammed al-Shaibah, Air-Cargo-Direktor von Yemenia Airways, sofort nach dem Bombenfund beteuerte: In den letzten 48 Stunden verließ keine UPS-Luftfracht mein Land.

Die Nachrichten können noch so diffus sein, dem Auftrag an die US-Administration würde das nichts anhaben: Gefahrenabwehr, Anti-Terror-Kampf! Vorsorge treffen, den Jemen wie Afghanistan zu behandeln! Warum fragt in solchen Augenblicken kaum jemand, was aus den Versprechen Barack Obamas wurde, einer Region mehr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und sie dadurch zu befrieden? Man könnte aus seiner Kairoer Rede von 4. Juni 2009 zitieren, in der das Wort Gerechtigkeit eine Bestandsgarantie sondergleichen genießen durfte. Die fromme Botschaft kostete den israelischen Siedlungsbau etwas Zeit, aber keinen Stein. Weder im Jemen, noch im Libanon, noch in Palästina hat sich die Lage seither qualitativ verändert. Nicht einmal im Irak. Wenn dort US-Truppen abziehen, kann von „mission accomplished“ so wenig die Rede sein wie am 1. Mai 2003, als sich George Bush der Floskel bediente. Die Iraker dürfen nun die Scherben, die ihnen ihre Befreier großzügig hinterlassen haben, selbst zusammenfegen. Die perfekte Souveränität. Was will man mehr als solcherart Gerechtigkeit?

Die Jemeniten können sich freuen über diesen Blick in die eigene Zukunft. Die Amerikaner wollen ihnen vorerst nur Geheimdienstkommandos schicken, um Al-Qaida-Führer zu jagen. In fünf Jahren wird dann bei Wikileaks nachzulesen sein, wie das vonstatten ging. Die Internet-Community hat wieder 48 Stunden des Entsetzens oder der Entrüstung für sich, danach ertönt ein stolzes „mission accomplished“. Die Anti-Terror-Karawane muss ja weiter, ein Abstecher nach Somalia bietet sich an oder in den Sudan, auch Uganda gibt erste Empfehlungsschreiben ab.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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