Egal, ob Christ oder Muslim

Ägypten Konfessionelle Konflikte zwischen den Religionsgruppen gibt es im arabischen Raum seit Jahrhunderten, doch kaum je zuvor wurden sie derart gewalttätig ausgetragen

Das Selbstmordattentat, das am Neujahrstag 30 Minuten nach Mitternacht 21 koptische Christen in der ägyptischen Hafenstadt Alexandria das Leben kostete, war der schlimmste Fall religiös motivierter Gewalt in Ägypten seit zehn Jahren. Für die mit schätzungsweise acht Millionen Mitgliedern größte christliche Gemeinschaft im Nahen Osten begann das Neue Jahr mit einem Massaker. Schon im Vorjahr wurde in der Nacht vom 6. auf den 7. Januar in Naga Hammadi nahe Luxor aus einem vorbeifahrenden Auto heraus wahllos das Feuer auf eine Menschenmenge eröffnet, die gerade eine anlässlich des koptischen Weihnachtsfestes abgehaltene Mitternachtsmesse verließ. Es folgte ein harscher Konflikt über die mutmaßliche Entführung der Frau eines Priesters, die zum Islam konvertierten wollte. Und es gab Vorwürfe muslimischer Geistlicher, christliche Gebetsstätten würden als Waffenlager missbraucht. Dies wiederum mündete in eine Kontroverse zwischen dem koptischen Papst und der ägyptischen Regierung über das Recht der Kirche, Themen des „persönlichen Status“ ihrer Mitglieder selbst zu regeln. Ende November dann kam es in Kairo zu schweren Ausschreitungen, als Sicherheitskräfte einen Demonstrationszug Tausender Kopten mit Steinen, scharfer Munition und Tränengas angriffen, wobei zwei Demonstranten getötet wurden. Anlass des Protests war der Entzug der Baugenehmigung für eine Kirche in Giza.

Im Management unerwünscht

„Konfessionelle Polarisierungen zwischen Christen und Muslimen gibt es seit Jahrhunderten – die Gewalt aber ist neu“, sagt der Direktor der Egyptian Initiative for Personal Rights und bekannte Menschenrechtsaktivist, Hossam Baghat. „Im vergangenen Jahr kam es vor, dass muslimische Demonstranten nach dem Freitagsgebet anti-christliche Parolen skandiert haben – eine neue und äußerst beunruhigende Entwicklung.“

Baghats Arbeit konzentriert sich einerseits auf die Gewalt zwischen Muslimen und Christen sowie die gegenseitigen Vorurteile, die dem zugrunde liegen. „Es geht dabei nicht nur um Brandanschläge auf Wohnhäuser und Angriffe auf Klöster, sondern um alltägliche Fälle von Diskriminierung bei der Vergabe von Arbeitsplätzen und anderen Formen nicht-gewalttätigen Sektierertums.“ Die Kopten beklagen, sie würden aus den Führungsgremien von Wirtschaft, Politik und Wissenschaft relegiert, auch wenn es bemerkenswerte Ausnahmen gibt wie die des Finanzministers Youssef Boutros Ghali oder des Telekom-Tycoons Naguib Swiris.

Es ist eine Tatsache, die Zahl der ägyptischen Christen wächst ebenso wie die ihrer muslimischen Mitbürger, weshalb viele der 2.000 Kirchen des Landes häufig überfüllt sind und die Zahl der Gläubigen nicht mehr aufnehmen können. Wollen die Kopten aber ein neues, ihrem Glauben und ihrer Präsenz gemäßes Gotteshaus errichten, müssen sie sich für eine Baugenehmigung durch ein verwirrendes Netz an Bürokratie kämpfen, während der Bau einer neuen oder die Renovierung einer alten Moschee problemlos vonstatten geht. Bei einigen entsteht so das Gefühl, der Staat würde ihre Identität als Ägypter bewusst untergraben und sie zu zweifachen Opfern machen – Opfern ihrer muslimischen Nachbarn und der herrschenden Mächte, die sich hinter den Angreifern verbergen.

Konfliktursache Staatssicherheit

Nach Hossam Baghats Meinung werden die Spannungen zwischen Kopten und Muslimen sich erst dann lösen, wenn die Regierung damit aufhört, sektiererische Gewalt allein als Problem der öffentlichen Ordnung und inneren Sicherheit zu betrachten. Sie müsse stattdessen dafür sorgen, dass die Macht des Gesetzes zu ihrem Recht kommt. „Die Reaktion des Staates auf konfessionell motivierte Konflikte ist fast immer vorrangig von dem Bedürfnis bestimmt, für „Ruhe“ zu sorgen. Dementsprechend hart greifen die Sicherheitskräfte durch."

„Wenn man sich das große Ganze anschaut, wird überdeutlich, dass der Sicherheitsapparat Kern des Problems ist“, sagt Baghat. „Seine Taktik ist nicht nur schlecht für Demokratie und Menschenrechte, sondern auch für eine langfristig wirkende Sicherheit.“ Der Tenor der Christen lautet: „Wir wollen lediglich wie Ägypter behandelt und in unseren Rechten respektiert werden. Es ist schwer, jemanden zu finden – egal ob Christ oder Muslim – dem diese Behandlung zuteil wird.“

Übersetzung: Holger Hutt

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Jack Shenker | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

The Guardian

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden