Der vermeintliche Kronzeuge für irakische Massenvernichtungswaffen hat erstmals zugegeben, alles erfunden zu haben. Er wollte den Sturz Saddam Husseins beschleunigen
Die Enthüllung des Guardian, dass der Mann mit dem Decknamen Curveballdie ganze Geschichte nur erfunden hat, ist ein weiterer Nagel im Sarg der Glaubwürdigkeit jener, die behaupten, es habe eindeutige Beweise für eine Bedrohung durch Saddam gegeben. Curveballs Behauptung, der Irak arbeite im Geheimen an einem beachtlichen Arsenal biologischer Waffen, war ein entscheidendes Argument für Briten und Amerikanern, eine unmittelbare und wachsende Bedrohung durch den Irak zu unterstellen. Da nun die Wahrheit über diese Propagandalüge zutage gefördert ist, können wir darauf warten, dass nun jene, die sie fabriziert haben wie Tony Blair, Dick Cheney und andere, ihre üblichen Argumente abändern. Sie werden fortan behaupten, von Falschinformationen i
Übersetzung: Holger Hutt
Blair, Dick Cheney und andere, ihre üblichen Argumente abändern. Sie werden fortan behaupten, von Falschinformationen in die Irre geführt worden zu sein. Wie hätten sie schließlich wissen können, dass Curveball die Unwahrheit sagte? Einmal mehr werden sie versuchen, die Öffentlichkeit in die Irre zu führen. Überläufer übertreibenVon 1997 bis 2002 war ich im UN-Sicherheitsrat für Großbritannien als Irak-Experte tätig und in dieser Funktion auch für die Verbindung zu den Waffeninspektoren zuständig. In dieser Zeit habe ich gelernt, wie verwirrend und kompliziert es ist, sich beim Thema Massenvernichtungswaffen Klarheit über mutmaßliche Informationen zu verschaffen. Es gab viele Informationen von verschiedenen Quellen, die sich widersprachen – es gab Protokolle über abgehörte Gespräche, Luft- und Satellitenbilder sowie Nachrichten von Überläufern oder Agenten aus dem Irak. Unsere Aufgabe bestand darin, aus all dem ein plausibles und kohärentes Bild dessen zu zeichnen, was im Irak vor sich ging. Ich arbeitete hierbei auch mit David Kelly zusammen – dem führenden britischen Experten für biologische Waffen.Angesichts der Komplexität aller Informationen konnte man keine einzelne Quelle als maßgebend betrachten. Die unzuverlässigsten Quellen waren die Überläufer. Wir waren uns vollauf bewusst, dass sie eine große Motivation hatten, das mutmaßliche irakische WMD-Programm zu übertreiben. Sie hassten Saddam und wollten ihn weghaben. Lange vor Curveball gab es andere Überläufer, die zum Teil wilde Behauptungen über die Waffenprogramme des Irak aufstellten. Ich erinnere mich an einen Bericht, in dem behauptet wurde, Saddam habe seine Scud-Raketen mit Nuklearsprengköpfen ausgestattet und diese stünden nun bereit, um auf Israel und andere Ziele abgeschossen zu werden. Die von Überläufern gewonnenen Informationen rangierten bei uns daher ganz unten in der Hierarchie der Beweise. Bildern oder abgefangenen Signalen wurde aus nahe liegenden Gründen mehr Glaubwürdigkeit eingeräumt.Beweise passend gemachtJedes Beweisstück – ganz egal aus welcher Quelle es stammte – wurde zuerst einer rigorosen Mehrfachprüfung unterzogen, bevor es in die Gesamtanalyse mit aufgenommen wurde. Da alle Informationsquellen ihre je eigenen Defizite aufwiesen (die Iraker wussten natürlich, dass sie abgehört wurden), musste jede Information durch eine weitere Quelle bestätigt werden. Diese Methode wurde in ganz Whitehall, im Verteidigungsministerium und Cabinet Office angewandt. Es stellte die Grundlage für die Urteile des Joint Intelligence Commitee zur Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen dar, an denen ich mitgearbeitet habe. Ich tat das wie gesagt zwischen 1997 und 2002, als diese Methode ein recht klares Bild ergab: Man hatte keinen glaubwürdigen Beweis für die Existenz relevanter Mengen an Massenvernichtungswaffen im Irak.Diese Methode wurde im Vorfeld des Krieges eindeutig verworfen. Anstatt die mutmaßlichen Beweise sorgfältig zu überprüfen, suchte man sich diejenigen Berichte heraus, die zur Legende von einer irakischen Bedrohung passten. In geglätteter Form stellten sie die Grundlage für Präsentationen wie die Colin Powells im Februar 2003 vor dem UN-Sicherheitsrat oder für das Dossier, das dem Kabinett in Downing Street No 10 vorlag. Der Kriegsgrund wurde also durch die Verantwortlichen nicht einfach in Form einer bewussten Lüge in die Welt gesetzt, sondern es wurden Beweise gezielt dadurch manipuliert, indem man die Bedeutung der Berichte etwa von Curveball erhöhte und widersprechende Beweise ignorierte. Ein subtiler Prozess, der von Bericht zu Bericht verfeinert wurde, so dass es die Verantwortlichen glauben konnten, nicht bewusst zu lügen. Ich habe mit David Kelly ein paar Wochen vor seinem Tod über diesen von ihm verachteten Prozess gesprochen. Dass er einem ungeschickten Journalisten von der Geschichte erzählte, der das Ganze als ein „sexing up“ beschrieb, war der Auslöser für die Ereignisse, die zu Kellys Freitod führten. Ehemalige Kollegen in Verteidigungs- und Außenministerium gaben mir gegenüber freimütig zu, dass es sich genauso zugetragen hat. Aber obwohl er so subtil und im Geheimen vor sich ging, sollten wir diesen Prozess als das bezeichnen, was er war: die Fabrikation einer Lüge.