Wulff schweigt

Amtspflichten Der Bundespräsident hat eine Meinung zu Muammar Gaddafis "Staatsterrorismus". Aber warum sagt er nichts zu Minister Guttenberg?

Es war gestern in der Tagesschau zu sehen: Der Bundespräsident äußert sich zu Gaddafi. "Staatsterrorismus" warf er ihm vor. Den Rücktritt legte er ihm nicht ausdrücklich nahe, doch das ist auch längst nicht mehr nötig, denn ohnehin berichten die Medien jeden Tag, dass sich da jemand, draußen in Libyen, mit "wirren Reden" und gestützt auf Teile der Armee, an die Macht klammert.

Ja, aber warum sagt der Bundespräsident nichts zum Fall Guttenberg?

Abgesehen von einer mehr formellen Rüge, Guttenberg habe den wissenschaftlichen Dienst des Bundestags auf inkorrekte Weise genutzt, hat Christian Wulff noch keinen Kommentar über die Lippen gebracht. Dabei erwartet man gerade von ihm einen Klärungsversuch. Man erwartet es vom Träger des Amtes, das er bekleidet. Der deutsche Bundespräsident hat nur drei Aufgaben: Gesetze abzeichnen (oder manchmal ans Parlament zurückverweisen), über die politischen "Sitten", sprich die correctness wachen, und den Staat im Ausland repräsentieren. Wulff hat bereits bewiesen, dass er sich der beiden letzten Aufgaben sehr wohl bewusst ist und sie auch zu erledigen weiß. Den Eindruck, er sei eine schlechte Besetzung, konnte man bisher eigentlich nicht haben. Bei Sarrazins Entfernung aus der Bundesbank hat er eine aktive Rolle gespielt, nicht nur hinter den Kulissen, sondern auch durch klare öffentliche Positionierung. Sein deutsch-türkischer Doppelpass: "Der Islam gehört zu Deutschland", "das Christentum gehört zur Türkei", war schon geradezu ein diskursives Meisterstück. Aber nun vermisst man, dass er auch sagt: "In die Regierung einer demokratischen Republik gehört kein Titelerschleicher."

Man muss das ja aussprechen und sogar geduldig erklären in diesem Land, das, wenn die Umfragen nicht täuschen, immer noch mit großer Mehrheit hinter dem falschen Doktor steht. Es ist eine Wahrheit, die so unzweifelhaft ist und sich doch so wenig von selbst versteht, wie dass der Islam zu Deutschland gehört. Viele sehen es nicht mit bloßen Augen. Die Augen sind eher Guttenbergs adligem Schneid geblendet. Was Wulff zu erklären hätte, ist gerade dies, dass wir dem Anspruch unserer Verfassung gemäß nicht nur in einer Demokratie leben, sondern auch in einer Republik: einer Republik mit checks and balances – der Begrenzung unverhältnismäßiger Macht – und der strikten Bindung an Recht und Gesetz. Das ist doch der Grund, weshalb die Umfrage-Mehrheiten für Guttenberg nicht zählen und man den Machtallüren der Bild-Zeitung entgegegentreten muss. Als es um Sarrazin ging, wusste Wulff, dass es gerade nicht seine Aufgabe war, sich einer solchen Mehrheit zu beugen. Jetzt scheint er es vergessen zu haben.

Hat er Angst, bei der Bild-Zeitungs-Mehrheit Ansehen zu verlieren, ist das der Grund, weshalb er ihr nicht widerspricht? Die Behauptung der Kanzlerin, der Armeechef im Kabinett zähle nur als Fachmann, während man von seinen Sitten absehen könne, ist schon skandalös genug. Man muss glauben, Wulff stimme ihr zu, wenn er sie so stehen lässt. Es ist, als ob er nicht begreift oder gar damit einverstanden ist, dass in diesem Land gerade eine Schwelle überschritten wird. Staatsrecht darf Guttenberg (noch) nicht brechen, anderes Recht aber schon? Nein, ein Bundespräsident dürfte hier nicht den Mund halten. Den wirren Reden Guttenbergs und Angela Merkels setzt Wulffs Schweigen die Krone auf.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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