Von rot-rot-grünem Optimismus ist im Wahljahr kaum noch etwas zu spüren. Die Debatte über linke Reformpolitik geht trotzdem weiter – oder sogar deshalb
Von Hamburg nach Düsseldorf sind es 400 Kilometer. Politisch betrachtet ist die Entfernung zwischen der Hansestadt und Nordrhein-Westfalen allerdings viel größer.
Seit seinem Wahlerfolg wird der Kurs von Olaf Scholz in der SPD zum Gegenmodell der rot-grünen Minderheitsregierung von Hannelore Kraft stilisiert. „Wirtschaftliche Vernunft“ soll gegen kreditfinanzierte Vorsorgepolitik in Stellung gebracht werden, von einer „Aussöhnung“ mit der Agenda Gerhard Schröders ist die Rede. Von Kurt Beck bis Thomas Oppermann wird die „Mitte“ als archimedischer Punkt sozialdemokratischer Politik reaktiviert, den „sozialliberalen Kräften“ in der SPD malt man eine goldige Zukunft aus. Die Parteilinke, der nun auch die Niederl
ie Niederlage Ralf Stegners im schleswig-holsteinischen Kandidatenrennen zugerechnet wird, ist wieder einmal in der Defensive.Vor der Kulisse klingen optimistische Äußerungen über rot-rot-grüne Annäherungen etwas seltsam. Zumal, wenn es um die Bundespolitik geht. Als die Linkenvorsitzende vor ein paar Tagen von der Tageszeitung darauf hingewiesen wurde, dass eine Koalition Vorbereitung brauche, antwortete Gesine Lötzsch: „Daran wird gearbeitet.“ Wer sich bei SPD und Grünen umhört, wird mit einem anderen Eindruck zurückgelassen: Bei denen, die mit Blick auf 2013 ernsthaft ein Bündnis der drei Oppositionsparteien in Erwägung gezogen haben, herrscht Ernüchterung.Ein Knäuel von FaktorenEs gibt eine Reihe von Gründen dafür, ein ganzes Knäuel sich gegenseitig beeinflussender Faktoren: Da wären die Konflikte innerhalb der drei Parteien, die zwar oft in die Frage nach möglichen Kooperationen münden, mit dieser aber noch nicht erschöpfend beantwortet sind. SPD, Grüne und Linke befinden sich – in verschiedenem Maße – in Prozessen der Neuorientierung; was sich bei den Sozialdemokraten derzeit als Akzentverschiebung nach rechts zeigt, hat sein Äquivalent in der Programmdebatte der Linken oder in den Differenzen bei den Grünen. Nicht zuletzt verlangt das Wahljahr eher nach Konkurrenz als nach Kooperation. Weshalb man auch von der Symbolik eines rot-grünen Revivals, das gerade noch hoch im Kurs stand, seltener behelligt wird.Wie schwierig selbst dieses Thema ist, zeigte sich vor ein paar Wochen. Der Tagesspiegel hatte berichtet, „die Spitzen von SPD und Grünen“ würden Konzepte fürs gemeinsame Regieren ab 2013 in einer neuen Denkfabrik erarbeiten lassen wollen. Worauf „die Spitzen von SPD und Grünen“ via Medien mitteilen ließen, sie würden von der Sache nichts halten. Das erklärte Ziel des „Koordinierungsbüros“, das laut SPD-Programmarbeiter Benjamin Mikfeld „Software für mögliche Koalitionen“ entwickeln und das intellektuelle Vorfeld eines Bündnisses bestellen soll, geriet noch vor dem Start unter Druck.Die Idee zu einem neuen rot-grünen Thinktank ließ die Frage aufkommen, was aus den seit Anfang 2010 laufenden Bemühungen geworden ist, parteiübergreifend auf reformpolitische Ideensuche zu gehen. War das Koordinierungsbüro eine „klare Absage“ an das Institut Solidarische Moderne? Sollte dem fast zeitgleich gegründeten Netzwerk rot-rot-grüner Parlamentarier hier Konkurrenz erwachsen?Sorge um den GesprächsfadenDas letzte Treffen jener „Oslo-Gruppe“ fand Anfang des Jahres statt, man konzentriere sich derzeit auf dezentrale Veranstaltungen, heißt es. Noch vor ein paar Monaten galt manchen das Projekt als „Mix dieses Sommers“, die Kooperation gehe nun „erst richtig los“. Inzwischen vernimmt man ruhigere Töne. „In Wahlkämpfen steht selbstverständlich die Profilierung der eigenen Partei im Mittelpunkt“, sagt die Vizechefin der Linken, Halina Wawzyniak. Wichtig sei, dabei „den Gesprächsfaden nicht zu verlieren“.Beim Institut Solidarische Moderne wurden die Pläne zu einem rot-grünen Koordinierungsbüro begrüßt – um die Unterschiede zum eigenen Ansatz zu unterstreichen (siehe den Beitrag links). Das Institut sei weit weniger auf Kontakte zwischen Parteien orientiert und ziele viel stärker „auf die Produktion von Wissen und Strategie“. Ein „progressiver Politikwechsel“, heißt es dann aber auch, erfordere auf Bundesebene gleichwohl „das Zusammenspiel von SPD, Grünen und Linkspartei“.Wie dieses sich gestaltet, hängt nicht zuletzt von der Frage ab, wie Akteure der drei Parteien auf kommunaler Ebene kooperieren. Einer der Instituts-Gründer, der Grüne Sven Giegold, hat eine Bestandsaufnahme versucht – und eine „überraschend geringe Zahl“ rot-rot-grüner Bündnisse in Städten festgestellt, zumal diese aufgrund der Politikbedingungen in Städten und Landkreisen sehr unterschiedliche Gestalt annehmen. Dennoch setze man darauf, dass „der Weg für Rot-Rot-Grün durch Crossover vor Ort mit bereitet wird“. Einfacher ist das nicht unbedingt: „Gerade unter den widrigen Bedingungen rot-rot-grün-feindlicher Medien“, so Giegold, habe es auch kommunal ein „an sozialen und ökologischen Zielen orientierter Pragmatismus mitunter schwer“.Zurückhaltung als TugendHinzu kommt die geringe Sichtbarkeit von ambitionierten reformpolitischen Debatten. Beim „Projekt Linksreformismus“, der dritten im vergangenen Jahr angestoßenen Crossover-Initiative, wird die Zurückhaltung zur Tugend. Eine Tagung in Berlin, an der im Februar über 100 Vertreter überwiegend aus der Wissenschaft teilnahmen, fand medial nicht einmal Erwähnung. Zum Glück offenbar: Nur in „geschützten Räumen“, so hatte es Mitinitiator Rainer Land formuliert, seien „die erforderliche Bedenklichkeit, eine gewisse Gründlichkeit und eine temporäre Distanz zu parteipolitischen Zweckdebatten“ zu gewährleisten.Völlig losgelöst von der parteipolitischen Realität und rot-rot-grünen Optionen bewegt sich aber auch dieses Projekt nicht. Man versuche, sagt der Ökonom Leonard Dobosch, den linken Reformdiskurs „zumindest ein wenig zu irritieren und so neue Räume für linke Reformpolitik zu eröffnen“.