Selbstläufer Eurokrise

Fall Portugal Die Verschuldungsdilemma innerhalb der Eurozone wird bleiben, solange die EU mit ihrem Absicherungsprogramm die Macht der Gläubiger anerkennt, statt sie zu beschneiden

Es fällt auf, wie eingespielt die Prozeduren inzwischen sind. Die EU-Finanzminister haben bei ihrem Treffen an diesem Wochenende im ungarischen Gödöllö den portugiesischen Antrag auf Kredithilfen fast ungerührt durch gewunken. Dabei scheint ein Finanzbedarf von etwa 80 Milliarden Euro, von denen voraussichtlich 54 Milliarden aus den Depots des Eurorettungsfonds (EFSF) gespeist werden, keine Kleinigkeit. Man muss bedenken, dass seit Mai 2010 zunächst 110 Milliarden Euro für Griechenland und gegen Ende vergangenen Jahres noch einmal 67,5 Milliarden für Irland fällig wurden, auch wenn teilweise der IWF als Ko-Finanzierer eingesprungen ist. In der Summe sind das mehr als 230 Milliarden Euro, bei denen teilweise eine zusätzliche Deckung innerhalb des EFSF addiert werden muss.

Nachdem sich jedoch beim EU-Gipfel im März der Rettungsfonds noch einmal großzügig verproviantiert fand – am 11. März bereits war entschieden worden, dessen Volumen von 250 auf 400 Milliarden aufzustocken –, mussten das Portugals Gläubiger wie eine Offerte empfinden, sich schleunigst zu bedienen und lieber die Euro-Staaten insgesamt als den portugiesischen Staat für ihre Forderungen haftbar zu machen. Schließlich stehen dessen Partner als Nothelfer bereit. Auch in politischer Hinsicht scheinen die Umstände günstig wie nie seit Ausbruch der Verschuldungskrise.

Die Verbindlichkeiten Portugals gegenüber ausländischen Finanzinstituten beliefen sich zuletzt auf respektable 235 Milliarden Euro (spanische Banken beanspruchen 78,3 Milliarden, französische 41,9, deutsche Institute 37,2 und so weiter). Da darf das Gespenst einer drohenden Umschuldung, wie die sich bei Griechenland abzeichnet, und eines daraus resultierenden Kapitalverlustes schon als reale Gefahr gelten. Folglich wurden an den Finanzmärkten die Zinsen nach oben gehievt, so dass die Regierung des geschäftsführenden portugiesischen Premiers Sócrates damit rechnen musste, bei der um den 15. Juni herum anstehenden Refinanzierung von Schuldentiteln im Wert von sieben Milliarden Euro bei der Neuaufnahme von Krediten die Zehn-Prozent-Marke bei den Zinsen zu touchieren – oder zu übertreffen. Und zehn Prozent markierten den kritischen Punkt, an dem Irland unter den Schirm musste.

Natürlich darf man das Handeln der Gläubiger mit Fug und Recht als Erpressung geißeln. Eine Nötigung nicht nur der Lissabonner Administration, auch der EU und ihrer Steuerbürger. Doch was ist mit solchem Verdikt gewonnen? Ökonomische Kausalitäten entziehen sich moralischer Bewertung – entweder man nimmt sie hin oder schafft sie ab. Die EU nimmt sie hin. Sie hat mit dem Aufstocken der Europäischen Finanzstabilitätsfazilität (EFSF) gerade zum Ausdruck gebracht, keine andere Wahl zu haben, als alle Mitglieder der Eurozone vor dem Staatsbankrott retten zu wollen, die dies nötig haben. Für Banken, Investoren und Spekulanten ein Angebot von höchster Zuverlässigkeit. Wer das ausschlägt, gerät in den Verdacht, die Renditeerwartungen seiner Anleger nicht in dem Maße bedienen zu wollen, wie das möglich ist. Im Fall Portugal wird das scheinbar Obszöne dieser „Umstände“ noch dadurch akzentuiert, dass ein akut hilfsbedürftiger Staat derzeit über keine legitimierte Regierung verfügt. Mit anderen Worten, das von den EU-Finanzministern in Gödöllö angedeutete Junktim – Kreditbürgschaften aus dem Rettungsfonds gegen einen rigiden Sparkurs – wird der erst im Juni zu wählenden neuen Regierung schon jetzt als Geschäftsgrundlage oktroyiert. Der Bürger als angeblicher Souverän wählt eine von vornherein nicht souveräne Regierung. Was hat das noch mit Demokratie zu tun? Nicht anders war es beim Parlamentsvotum in Irland Ende Februar. Die Verschuldungskrise wird hier immer mehr zum Selbstläufer und das auch bleiben, solange die EU mit ihrem Absicherungsprogramm die Macht der Gläubiger anerkennt, anstatt sie zu beschneiden.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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