Späte Ehrung

Nationalsozialismus Am Mittwoch wurden in Köln die Edelweißpiraten mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Bürgermeister Roters erkennt an, dass die jungen Leute NS-Widerständler waren

Verbrecher oder entwurzelte Rowdys? Über Jahrzehnte fielen der großen Politik nur diese beiden Varianten ein, wenn es um die Beurteilung der Aktionen der Kölner Edelweißpiraten ging. Diebstähle, Raubzüge und Sabotagehandlungen sowie Waffengewalt gegen die Staatsmacht listete die Geheime Staatspolizei der Nazis auf. Am 10. November 1944 wurden an einem Bahndamm im Kölner Stadtteil Ehrenfeld 13 Personen öffentlich ohne Anklage und Urteil zur Abschreckung aufgehängt, darunter sechs Jungen, die zu den Edelweißpiraten gehörten. Nach endlosen Kontroversen werden nun heute fünf ehemalige „Edelweißpiraten“ im Historischen Kölner Rathaus mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet – für ihren „Widerstand in der NS-Diktatur und…ihr ehrenamtliches Engagement als Zeitzeugen“. Sie heißen Hans Fricke, Gertrud Koch, Peter Schäfer, Wolfgang Schwarz und Fritz Theilen.

Nicht geehrt sind bis heute die Toten vom 1944. Sie verscharrte man auf dem Kölner Friedhof Melaten im Massengrab, unter ihnen Günther Schwarz (16), Johann Müller (16), Bartholomäus Schink (16), Gustav Bermel (17), Franz Rheinberger (17) und Adolf Schütz (18).

Warum keine Ehrung für die Ermordeten? Darauf angesprochen, teilte die Bezirksregierung Köln mit, dass das Verdienstkreuz nicht posthum verliehen werde. Das aber ist nur die halbe Wahrheit. Denn es gibt Ausnahmen von der Regel. So wurden etwa der „Landshut“-Pilot Jürgen Schumann und der Münchener Dominik Brunner, der nach einer Attacke von Jugendlichen starb, posthum ausgezeichnet.

In all Jahren ab 1945 hatten sich Gerichte, Behörden und Politiker bemüht, den Widerstand der meist aus dem Arbeitermilieu stammenden Jugendlichen zu herunterzureden, beiseit zu schieben. Dennoch hatte sich auf regionaler Ebene mehr und mehr die Einschätzung durchgesetzt, dass die Aktionen der Edelweißpiraten eine ehrenvolle Erinnerung verdient hätten. So gibt es am Hinrichtungsort in Köln eine Gedenktafel. Eine Straße ist nach Bartholomäus Schink benannt worden. Besonders unangenehm war den Entscheidungsträgern, dass 1984 Wolfgang Schwarz, Jean Jülich und posthum Bartholomäus Schink mit der Medaille der Gerechten ausgezeichnet wurden, der höchsten Auszeichnung des Staates Israel für Nichtjuden. Ausschlaggebend war, dass die Edelweißpiraten zu denen gehörten, die Juden in den Trümmern Kölns versteckt, mit Lebensmitteln versorgt und damit ihr Überleben gesichert hatten.

Um die Debatte „Widerstand oder nicht?“ endlich zu beenden, sah sich Ende der 1980er Jahre die Landesregierung genötigt, die Wissenschaft zu bemühen. Der damalige NRW-Innenminister Herbert Schnoor (SPD) beauftragte den Düsseldorfer Professor Peter Hüttenberger mit einem Gutachten. Hüttenberger vergab den Auftrag an seinen Doktoranden Bernd Rusinek.

Rusinek wühlte sich durch die Naziakten, nahm jedoch Abstand davon, überlebende Zeitzeugen ausgiebig zu befragen. Rusinek, heute selbst Professor, war damals ein „Stellenanwärter“, das Gutachten war seine Doktorarbeit. Er kam zu dem Fazit, dass die ermordeten Edelweißpiraten zwar keine Verbrecher waren. Doch als desolate Rowdys konnten sie nach Meinung des Doktoranden keinen politischen Widerstand geleistet haben. Die Kölner Stadtrevue schrieb damals eine vernichtende Einschätzung über Rusineks Gutachten und zitierte eingangs aus Adornos „Minima moralia“: „Selbst wenn sie außerhalb des Betriebes als ganz humane und vernünftige Wesen sich erweisen, erstarren sie zur pathetischen Dummheit in dem Augenblick, in dem sie von Berufs wegen denken.“

Neben anderen protestierte damals auch Romani Rose vom Zentralrat deutscher Sinti und Roma: „Es ist für uns unerträglich, wenn von heutigen Wissenschaftlern junge Menschen, die im Dritten Reich sich gegen die bestehenden NS-Organisationen, gerade auch gegen die Hitlerjugend, zusammenschlossen, als aufgrund der Zeitumstände 'zwangsläufig kriminell' diffamiert werden.“

Der Kölner Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) ist hier eine rühmliche Ausnahme. Für ihn, der am Mittwoch die Verdienstkreuze an fünf ehemalige Edelweißpiraten überreicht, war immerhin 2005 klar geworden, dass die Kölner Edelweißpiraten politischen Widerstand im besten Sinne des Wortes geleistet hatten. Deshalb ehrte er als damaliger Regierungspräsident die Überlebenden – anders als einer seiner Vorgänger, der Sozialdemokrat Franz-Josef Antwerpes (SPD), der bis zuletzt, wie die Nazis, den Widerstand der Jugendlichen als Verbrechen sah.

Alexander Goeb hat so heißt es jedenfalls aus Kreisen der für Wiedergutmachungsfragen zuständigen Kölner Bezirksregierung mit seinem Buch Er war sechzehn, als man ihn hängte zu der späten Ehrung der Überlebenden beigetragen. 2008 schrieb er an den damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler, dass eine Anerkennung der Edelweißpiraten durch die oberste Repräsentanz der Republik längst angebracht sei.

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