Manchmal mit Tränen in den Augen und völlig verzweifelt, so berichten die Berater vom Sozialverband SoVD, hätten die Versicherten der City BKK vergangene Woche vor ihnen gestanden und um Hilfe gebeten. Das Ehepaar H. zum Beispiel, beide über 70 und chronisch krank. Viele Jahre waren sie in der Kasse versichert, die in Zeiten, als Krankenkassen ihre Beitragssätze noch selbst bestimmen konnten, als günstig galt und mit Großstadtservice warb. Die Nachricht von der Kasseninsolvenz hatte sie völlig überrascht, und sie suchten wie viele ältere Versicherte Rat beim Sozialverband in Berlin.
„Viele Betroffene, die zu uns kommen, fürchten, dass sie demnächst medizinisch nicht mehr versorgt werden“, sagt Ursula Engelen-Kefer. R
efer. „Manche haben überhaupt keine Ahnung, was sie machen sollen. Andere werden von Kassen, bei denen sie einen Aufnahmeantrag stellten, abgewiesen. Viele wissen nicht, dass Kassen verpflichtet sind, sie unabhängig von Alter und Gesundheitszustand aufzunehmen.“ Das Ehepaar H. wurde von der City BKK an die AOK in Berlin-Weißensee verwiesen, was schon aus Wettbewerbsgründen fragwürdig ist. In der langen Schlange dort konnten sich die körperlich eingeschränkten Eheleute jedoch nicht anstellen.Vollmundige DrohungenDie langen Schlangen bei der AOK Berlin-Weißensee und anderen Kassen sorgten schnell für Schlagzeilen und riefen den neuen Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) auf den Plan, der nun vollmundig mit Sanktionen droht. Die 168.000 meist älteren und vor allem in Berlin und Hamburg ansässigen Versicherten dürften von der Pleite ihrer Kasse tatsächlich überrascht worden sein – nicht jedoch die politisch Verantwortlichen. Die City BKK fiel schon vor einem Jahr auf, als sie beim Bundesversicherungsamt Insolvenz ankündigte. Drei Monate zuvor hatte sie noch geprahlt, mit „besonderen Angeboten“ 1.500 neue Mitglieder gewonnen zu haben, und damit ihre Versicherten in Sicherheit gewiegt. Wie einige andere Kassen auch, führte sie einen Zusatzbeitrag ein. Jüngere Versicherte wechselten, die City BKK, bereits mit 50 Millionen Euro Schulden belastet, brach ein und sollte schon zum September 2010 abgewickelt werden. Zunächst jedoch legte sie einen Sanierungsplan vor, der unter anderem auf Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds über den Risikostrukturausgleich beruhte. Dieser sieht vor, dass Kassen mit vielen alten und chronisch kranken Mitgliedern mehr Mittel erhalten.An der Geschichte dieser kleinen Kasse lässt sich zweierlei ablesen. Zum einen war die Insolvenz der City BKK absehbar und hätte flankiert werden können. Diesen Skandal haben die Kassenvorstände, die Versicherungsaufsicht und Philipp Rösler als Ex-Gesundheitsminister zu verantworten. Zum anderen rückt diese erste Pleite einer Krankenkasse nach der Einführung des Gesundheitsfonds einige strukturelle Probleme ins Gedächtnis, die auf den Gesundheitskompromiss der Großen Koalition zurückgehen.Sackgassen statt AuswegeMit dem Wettbewerbsstärkungsgesetz von 2007 wurde nicht nur das bürokratische Unikum namens Gesundheitsfonds kreiert, es hebelte auch den direkten Kassenwettbewerb aus. Der einheitliche Beitragssatz koppelte, lange bevor die FDP das Ministerium übernahm, die Arbeitgeber weitgehend von den Kostensteigerungen im Gesundheitssystem ab, denn er wurde politisch festgelegt. Um „Armuts“kassen wie die AOKen nicht sofort k.0. zu schlagen, sollte der Risikostrukturausgleich allzu große Unterschiede in der Versichertenstruktur ausgleichen. Allerdings wirkt er unzureichend, wie sich inzwischen herausstellt, weil er nur bestimmte Krankheiten und alte Menschen, die zugleich an mehreren Krankheiten leiden, nicht doppelt berücksichtigt. Dies erwischt jetzt die Versicherten der City BKK kalt.Kommen die Kassen mit den (nur durchschnittlich ermittelten) Zuweisungen durch den Fonds also nicht aus, bleiben ihnen verschiedene Auswege, die sich indessen auch als Sackgasse erweisen können. Zum Beispiel der Zusatzbeitrag: Solange dieser nicht von allen Kassen in etwa gleicher Höhe erhoben wird, quittieren ihn die jüngeren, gesunden und relativ gut verdienenden Versicherten mit Flucht. Pech für die Kasse. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass bis 2013 alle Kassen Zusatzbeiträge erheben.Eine andere Möglichkeit ist die (politisch gewollte) Fusion, was nicht nur bei den Betriebskrankenkassen funktioniert, sondern auch bei den Größeren: So haben sich 2010 die AOKen Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern zusammengetan, und die Barmer hat sich mit der GEK ein gemeinsames Bett gezimmert. Die DAK dagegen, die 2010 zwar die kleinere Hamburg-Münchner geschluckt hat, ist auf der Suche nach einem potenten Partner – im Auge hatte sie die Kaufmännische Krankenkasse – bislang auf der Strecke geblieben. Eine Heirat wird umso schwieriger, je mehr ihr die Versicherten davonlaufen. Von den 362 gesetzlichen Krankenkassen im Jahr 2007 gibt es heute noch 155 – die Zielmarke der ehemaligen Gesundheitsministerin Schmidt lag bei maximal 50.Schlechter Service zahlt sich nicht ausNatürlich könnten die Kassen intern sparen, was auch vorkommt – zum Nachteil von Sachbearbeitern und Versicherten und mit unwägbaren Folgen, denn schlechter Service zahlt sich auf Dauer nicht aus. Dass die City BKK, wie vom Sozialverband zu hören ist, ihre Versicherten sogar nach Sachsen und Sachsen-Anhalt verwiesen hat, offenbart das geringe Gespür für die Bedürfnisse der Kunden. Und bevor die bestbezahlten Jobber der Republik, die Kassenvorstände, von einem liberalen Daniel Bahr in Haftung genommen werden, dürften die Brennstäbe in der maladen Gesundheitsfabrik Deutschland geschmolzen sein.Denn die nächste Lohnrunde in den Krankenhäusern, die Kosten des geplanten Versorgungsgesetzes und allgemeine Kostensteigerungen werden den Kassen-Gau vorantreiben, daran wird auch ein verbesserter Finanzausgleich nichts ändern. Zwei Jahrzehnte lang war es die Wirtschaftskrise, welche angeblich die Sozialkassen in die Bredouille brachte. Nun feiern wir Boom, und dennoch ändert sich nichts. Jetzt streichen die Unternehmen fette Gewinne ein, von denen sie weder über die Löhne noch in Form der – inzwischen vorsichtshalber gedeckelten – Arbeitgeberbeiträge etwas abliefern. Weil aber Sozialkassen keine im ökonomischen Sinn produktiven, sondern „verausgabende“ Systeme sind, bleiben nur die Versicherten, die entweder Geld zuschießen oder auf Leistung verzichten müssten.Solange sie das noch können. Wer nämlich über die Kante fallen wird, das hat versuchsweise nun die Pleite einer kleinen Kasse vorgeführt.