Der Sozialarbeiter zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung, was uns erwartet!“, sagt er lakonisch. Dabei ist er eigens für die umstrittene Veranstaltung aus dem Ruhrgebiet nach Berlin gekommen. Der so genannte Präventionsgipfel sollte der Auftakt sein für eine neue „Sicherheitspartnerschaft“ zwischen Staat und muslimischen Organisationen. Gemeinsam wollte man beraten, wie Islamisten frühzeitig erkannt und gestoppt werden können, bevor sie womöglich zu Attentätern werden.
Was unter der „Sicherheitspartnerschaft“ zu verstehen ist, wurde allerdings auch durch das Treffen nicht klarer. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hatte den Gipfel im März auf dem letzten Treffen der Deutschen Islam-Konferenz (DIK) angekü
ngekündigt. Die Muslime müssten mehr „gegen die Radikalisierung in den eigenen Reihen“ tun und enger mit der Polizei zusammenarbeiten, forderte der CSU-Politiker. Die muslimischen Organisationen reagierten konsterniert. Schließlich gibt es bereits zahlreiche regionale Netzwerke von Imamen, Sozialarbeitern und Polizei, bei denen Informationen über die islamistischen Aktivitäten ausgetauscht werden. Seit sieben Jahren treffen sich die Verbände regelmäßig mit dem Bundeskriminalamt.Zum Gipfel eingeladen wurden nicht nur die religiösen Dachverbände, sondern auch einige sozialpädagogische und sozialarbeiterische Projekte, die mit islamistischen oder „islamistisch gefährdeten“ Jugendlichen arbeiten. Sie kamen nach Berlin, weil sie auf mehr Unterstützung hofften – auch finanzielle. Aber es blieb bei vagen Ankündigungen. In einem Wettbewerb sollen künftig die besten Projekte prämiert werden. Neue Internetangebote sollen als Gegengewicht zur starken islamistischen Präsenz im Netz entstehen.Kampf der KulturenDoch die Schwierigkeit bei der staatlichen Islamismus-Bekämpfung beginnt schon bei der Gegnerbestimmung: Richtet sie sich gegen die Terroristen oder gegen die Islamisten – und wer ist das überhaupt?Der Verfassungsschutz behauptet, dass sich insgesamt ungefähr 250 Menschen aus Deutschland so genannten „Reisegruppen“ angeschlossen und auf den Weg in militärische Ausbildungslager im afghanisch-pakistanische Grenzgebiet gemacht haben. Sie und ihr Umfeld gelten als die militanteste islamistische Strömung. Salafistische und andere fundamentalistische Gruppierungen haben deutlich mehr Anhänger – angeblich etwa 2.500 Menschen, allerdings mit gegenwärtig schnell steigender Tendenz. Sie glauben an den Kampf der Kulturen und propagieren die Spaltung der deutschen Gesellschaft entlang religiöser Linien – aber Gewalt als politisches Mittel lehnen sie ab, setzen eher auf Missionierung und gesellschaftliche Verankerung. Und schließlich gibt es diejenigen, die in den Berichten der Verfassungsschützer als „legalistische“, also gesetzestreue Islamisten auftauchen. Gemeint sind damit vor allem die Anhänger von Milli Görüs. Insgesamt geht man von mehreren zehntausend Menschen aus und von einem großen Umfeld in den Gemeinden.Die anderen knapp vier Millionen Muslime in Deutschland haben mit Islamismus nichts am Hut. Aber sie fühlen sich durchaus angesprochen, wenn die deutsche Öffentlichkeit über „den Islam“ diskutiert, wenn Thilo Sarrazin über Intelligenzunterschiede schwadroniert, die Familienministerin von der CDU untersuchen lässt, ob der Islam gewalttätig macht – oder der Bundesinnenminister seine Überzeugung äußert, dass „nicht belegbar ist, dass der Islam zu Deutschland gehört“.„Das wirft uns zurück“Für die Praktiker der Extremismusbekämpfung gerät das zum Ärgernis, genauso, wie die grassierende Muslimfeindlichkeit zu einem großen Problem geworden ist. Etwa für die Islamexpertin Irmgard Schrand vom Hamburger Landeskriminalamt. „Diese Debatten werfen unsere Arbeit zurück. Die Kräfte, die zusammenarbeiten und diskutieren wollen, fühlen sich durch sie infrage gestellt. Gleichzeitig sind sie Wasser auf die Mühlen radikaler Kräfte. Weil diese immer wieder sagen werden: ‚Wisst ihr was, ihr könnt machen, was ihr wollt, die deutsche Gesellschaft will euch einfach nicht!‘“ Ähnlich äußert sich der Imam Andy Abbas-Schulz, der als Seelsorger muslimische Gefangene besucht. „Wir beobachten, dass sich auch immer mehr ganz normale muslimische Jugendliche die Frage stellen, ob diese Gesellschaft sie haben will.“Tatsächlich ging es Innenminister Friedrich wohl vor allem darum, mit der Veranstaltung die Botschaft auszusenden, er tue etwas gegen den Islamismus und nehme dabei kein Blatt vor den Mund. Dass er seine Initiative ausgerechnet beim letzten Treffen der Islamkonferenz vorstellte, gehört zur Dramaturgie. Abermals ermahnt er nun die Muslime, sie müssten „tätig werden und die Polizei einschalten, wenn jemand offen zur Gewalt gegen Menschen aufruft“. In den Äußerungen von Friedrich sieht „Prävention“ ungefähr so aus: Die Muslime melden verdächtiges Verhalten der Polizei, während Autoritätspersonen den Jugendlichen immer wieder erklären, dass Gewalt wirklich nicht okay ist.Diejenigen, die sich beruflich mit Islamismus beschäftigen, wissen, dass das so nicht funktionieren wird. Sie verstehen sehr gut, dass der Islamismus nicht aus einer „Parallelgesellschaft“ in die heile deutsche Welt einbricht, sondern sich aus den politischen und sozialen Problemen hierzulande speist – aus Perspektivlosigkeit, Diskriminierung und nicht zuletzt von der grassierenden und von Eliten angeheizten Islamfeindlichkeit entfacht wird.Die Erkenntnis ist nicht nur unter Sozialarbeitern verbreitet, sondern ebenso unter Polizisten. „Junge Muslime haben in diesem Land große Chancen, frei zu leben und sich zu entwickeln“, hat gerade erst der Chef des niedersächsischen Verfassungsschutzes, Hans-Werner Wargel, erklärt. „Aber es liegt auch an diesem Land, sein Versprechen auf Bildung und Aufstieg für alle einzuhalten. Ausgrenzung und Ablehnung sind der falsche Weg.“