Biografie Philipp Rösler ist der Prototyp eines Aufsteigers. Nun hat die Bundeskanzlerin in Berlin die erste Biografie über den Vizekanzler präsentiert
Er wartet schon eine ganze Weile. 15 Minuten können ziemlich lang werden. Arme verschränken? Lieber Hände in die Hosentaschen. Oder doch lieber raus? Die Füße in den hochpolierten schwarzen Schuhen hat er wieder ein klein wenig nach innen gedreht, das gibt ihm etwas Tapsigdrolliges. Aber die Schultern hängen. Ja wirklich, der Mann wird mit seinen 38 Jahren langsam krumm.
Philipp Rösler ist die Hauptperson. Seine Biografie wird vorgestellt. 38 Jahre auf 130 Seiten: Waisenjunge, Wunderknabe, Wirtschaftsminister. Doch die Hauptperson wartet auf die Chefin. Euro-Krise? Griechenpleite? Rezessionsangst? Der Vizekanzler hat gerade nichts Besseres zu tun, als sich auf dem Hof der Katholischen Akademie die Beine in den Bauch zu stehen. Die Kanzlerin offenbar schon.
bar schon. Sie ist zu spät. Zwei Minuten hinkt nun schon das Protokoll. Als sie schließlich aus dem Audi steigt, ist Rösler blitzschnell bei ihr. Die Blicke treffen sich. Da wendet er noch einmal scheu die Augen – wie ein Schüler, der nachmittags seine Lehrerin auf der Straße trifft und nicht weiß, wo er hinschauen soll.Die Kanzlerin hat versprochen, die Biografie vorzustellen und des Vizekanzlers Leben zu loben. Mitten in der Koalitions-Euro-FDP-Krise, wo doch alle schon das Ende der schwarz-gelben Koalition eingeläutet hatten. Eine kleine Plauderei am Mittag mit Philipp und Angela. Das Hauen und Stechen ist abgeblasen. Ist es etwa doch nicht so schlimm bestellt um Schwarz-Gelb? Und hält die Regierung am Ende doch noch zwei lange Jahre? Röslers Biograf Michael Bröcker gibt den bedeutungsschwangeren Hinweis: „Aufgeben ist in seiner Biografie bisher nicht angelegt.“Höflich, diszipliniert, engagiertTatsächlich beschreibt der Journalist in seinem Buch Philipp Rösler – Glaube. Heimat. FDP. – nett sind ja diese Pünktchen, wie früher bei der F.D.P. – einen Mann, der quasi bruchlos von seinem Elternhaus in Bückeburg an die Spitze der FDP und ins zweithöchste Regierungsamt geeilt ist. Der eine gewaltige Bruch in diesem Leben – der Verlust der vietnamesischen Eltern und die Verschiffung in die Bundesrepublik der frühen siebziger Jahre – wird doppelt und dreifach wettgemacht durch Superintegration, Heimatliebe, Fleiß, Aufstiegswillen. Beschrieben wird ein Familienidyll mit dem Vater Uwe Rösler, das auch unter der Abwesenheit der Mutter nach der Trennung der Eltern angeblich kaum gelitten hat. „Ich hatte die Familie, die jedes Kind braucht“, sagt Rösler.Auch als Jugendlicher gilt er als mustergültig: zuvorkommend, höflich, diszipliniert, engagiert. Autor Bröcker sagt, er habe niemanden gefunden, der auch nur die kleinste negative Pointe über Rösler aus jenen Jahren zu berichten wusste. Seinem Vater, einem Bundeswehr-Piloten, eifert er als Segelflieger nach. In der Schule wählt Rösler Mathematik und Physik als Leistungskurse. Ein Amt als Schülervertreter weckt sein Interesse für Politik. Er schaut bei den Jusos vorbei, doch die sind ihm „zu marxistisch und zu sehr in gesellschaftlich-theoretischen Diskursen verhaftet“. Stattdessen tritt er den Jungliberalen bei – unter anderem, weil die in Jeans und Hemd beim Bier zusammensitzen und nur ein bisschen über den „Soli“ reden, wie Bröcker schreibt.Pubertät, Protest, Pöbeleien? Fällt alles aus beim folgsamen Philipp. Glaubt man dem Buch, kommt es in Röslers Welt schon einem Wutausbruch nahe, wenn er seine Juli-Kollegen zurechtweist, weil die über Pommes und Burger bei McDonalds 20 Minuten verschludert haben und zu spät zur Vorstandssitzung gekommen sind. Disziplin und Pflichtbewusstsein, darum geht es.So unterschreibt Rösler für zwölf Jahre bei der Bundeswehr, um Stabsarzt zu werden – was er allerdings wegen seiner politischen Ambitionen nur mit Mühe zu Ende bringt. Seiner katholischen Freundin und späteren Frau Wiebke Lauterbach folgt er in die katholische Kirche. Die Ämter in Niedersachsen als FDP-Generalsekretär, Fraktionschef und Wirtschaftsminister strebt er noch aktiv an, doch die ungeliebte Aufgabe als Bundesgesundheitsminister und später auch als FDP-Chef übernimmt er – jedenfalls nach dieser Darstellung – ebenfalls aus Pflichtbewusstsein und nur nach dem Okay seiner Frau, die mit den kleinen Zwillingstöchtern allein in Hannover sitzt. Der Mann scheint so gut wie nie irgendwem irgendwelche Widerworte gegeben zu haben, bis zu jenem öffentlich inszenierten Konflikt mit der Kanzlerin über die Griechenland-Insolvenz neulich, bei dem er sich plötzlich als letzter Streiter gegen angebliche Denkverbote präsentierte."Nettigkeit ist die falsche Kategorie"Das spielt jetzt natürlich keine Rolle mehr, wo Kanzlerin und Vizekanzler so treulich in der Katholischen Akademie beieinandersitzen. Vielmehr scheint der vom Zaun gebrochene Streit Merkel sogar ein bisschen beeindruckt zu haben. Rösler habe „keine Scheu, Konflikte einzugehen, wenn sie eingegangen werden müssen“, meint sie anerkennend über den Mann, der bisweilen gegen sein Image des „netten Herrn Rösler“ ankämpft. „Nettigkeit, mangelnde Nettigkeit, das ist die völlig falsche Kategorie“, findet Merkel. Wer so viele Ämter in so wenigen Jahren gehabt habe, der sei einfach ein Homo politicus.Dann lobt sie noch, wie fix im Kopf der junge Mann aus Niedersachsen war, als sie ihn während der Koalitionsverhandlungen 2009 zum Kennenlerngespräch lud. Und wie sie jetzt mit dem Vizekanzler, ganz entgegen seiner zur Schau gestellten Disziplin, vor der Kabinettssitzung auch mal witzeln und lachen kann, selbst wenn beide mit einem fetten Päckchen Koalitionsärger angekommen sind. Rösler selbst, der nun doch ganz entspannt neben seiner Kanzlerin sitzt, findet noch eine Gemeinsamkeit. Als endlich die Sprache auf seine Vorliebe für Udo Jürgens kommt, pflichtet Merkel bei. „Bist du auch Fan?“, fragt er sie dankbar. „Wusste ich gar nicht.“
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