Wieder am Abgrund

Banken in Not Kommt es bei Griechenland zur Schuldenkappung, werden Banken straucheln. Wieder sind staatliche Rettungsakte gefragt, doch die Voraussetzungen ungünstiger als 2008

Die Situation könnte paradoxer kaum sein. Die imposanten Haushaltsdefizite nahezu aller EU-Staaten sind vor allem auch den groß angelegten Bankenrettungen während der Weltfinanzkrise 2008/09 zu verdanken. Noch einmal einen solchen Kraftakt zu vollbringen, sollte als Überforderung gelten und mit Zurückhaltung quittiert werden. Und doch haben Kanzlerin Merkel und Präsident Sarkozy gerade über erneute Rettungsakte verhandelt, bevor der EU-Gipfel am 17./18. Oktober die Frage zu beantworten hat: Wenn eine Umschuldung Griechenlands Banken zu Abschreibungen zwingt, die ihre Zahlungsfähigkeit bedrohen, werden dann wieder staatliche Rettungsnetze gespannt? Aber welche? Und vor allem mit welchen Ressourcen?

Für die belgisch-französische Dexia-Bank scheinen die Würfel bereits gefallen. Sie wird zerschlagen, in Teilen verstaatlicht beziehungsweise verkauft. Für große französische Institute wie BNP Paribas, Crédit Agricole und Société Générale, die teilweise von der Rating-Agentur Moody's bereits herab gestuft wurden, dürfte das kaum eine Lösung sein, die der Pariser Regierung geschweige denn den Banken zusagt. Daher sollen nach dem Willen von Nicolas Sarkozy Garantien aus dem Euro-Rettungsfonds EFSF nicht nur für überschuldete Staaten, sondern auch für vom Bankrott bedrohte Banken zur Verfügung stehen. In der EFSF sind auch bereits 20 Milliarden Euro zur Bankenrestrukturierung im Krisenfall vorgehalten.

Doch wird im Falle einer großen Bankenkrise das Volumen der EFSF für einen solchen Belastungstest nicht ausreichen. Seit Tagen kursiert daher die Idee, die Ressourcen der EFSF zu „hebeln“ – auf möglicherweise zwei Billionen Euro, was letzten Endes auf größere finanziellen Beiträge, aber auch Gefahren für die EFSF-Staaten hinausliefe. Nur, können die das verkraften?

Der Herbst 2011 ist nicht vergleichbar mit dem Oktober 2008, als auf den Crash der US-Bank Lehman Brothers reagiert wurde. Die Haushalte der meisten EU-Staaten sind ausgelaugt und überschuldet. Wer mit finanziellen Garantien für Banken bürgt, kann das nur tun, indem er selbst Kredite aufnimmt und noch mehr Schulden schultert. Bis auf die Slowakei, Slowenien, Finnland, Luxemburg und Estland gibt es im Moment keinen Euro-Staat, dessen Gesamtverschuldung unter 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegt – ein Stabilitätskriterium, das vor gut 20 Jahren vom Maastricht-Vertrag als unverzichtbar für die Grundstabilität eines Gemeinsamen Europäischen Währungssystems definiert wurde. Das heißt, für die Abwehr einer Bankenkrise und eines erwartbaren Übergreifens auf die Realwirtschaft fehlen schlichtweg die Mittel: Sie fehlen für teure Konjunkturprogramme wie 2008/09 (man denke im Blick auf Deutschland an die Abwrackprämie, an Investitionspakete für die Infrastruktur oder den verlängerten Bezug von Kurzarbeitergeld). Seinerzeit wurden durch die EZB und die nationalen Notenbanken der Eurozone die Leitzinsen gesenkt, um angeschlagene Banken mit billigem Geld zu versorgen. Auch diese Waffe ist drei Jahre später stumpf. In den USA hält die Federal Reserve (Fed) diese Marge bei fast null (wie die japanische Zentralbank), die EZB bei derzeit 1,5 Prozent.

Die von Merkel und Sarkozy für Ende des Monats angekündigte Gesamtlösung zeugt eher vom Bedürfnis nach Zeitgwinn, von mehr Ratlosigkeit als Entschlusskraft. Es rächt sich, dass seit Herbst 2008 zu wenig getan wurde, den Finanzmarkt zu regulieren und Staaten wie Griechenland wirksam zu helfen, statt sie durch Spardiktate in eine noch tiefere Krise zu stürzen. Allein eine europaweit geltende Besteuerung von Kapitalerträgen und Spekulationsgewinnen wäre die wirksamste Schuldenbremse gewesen, allein die Einrichtung einer Bank für öffentliche Anleihen bei der EZB hätte Staaten wie Griechenland, Irland, Portugal und Italien nicht Wucherzinsen ausgesetzt. Stattdessen geht die Bankenrettung in eine neue Runde und wird die Finanzkraft der Staaten weiter schröpfen, so dass auch die nächsten Schuldenschnitte über Griechenland hinaus in Aussicht stehen.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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