In London soll Licht in den Abhör-Skandal um Murdochs "News of the World" gebracht werden. Vor dem Ausschuss äußerte sich auch Guardian-Chefredakteur Alan Rusbridger
Es dürfte allen klar sein, dass die Ereignisse, die zu dieser Untersuchung geführt haben, empörend waren und großen Schaden verursacht haben. Letzteres, weil sie das Vertrauen in alle Journalisten erschüttert haben. Empört hat, was sie über jenes mächtige und marktbeherrschende Medienunternehmen enthüllten, und was sie darüber offenbarten, wie die Polizei mit dem Fall umging und wie mangelhaft die Medienaufsicht funktionierte; welch beschränkte Möglichkeiten dem Parlament zur Verfügung stehen und wie wenig die ursprüngliche Bereitschaft in weiten Teilen der Printmedien war, darüber zu berichten, was bei der News of the World vorgefallen ist. Kurz gesagt haben die Checks and Balances unserer Gesellschaft dabei versa
Übersetzung: Holger Hutt
chaft dabei versagt, die Mächtigen zur Verantwortung zu ziehen. (...)Dieser Ausschuss wird sich insbesondere für die Abhöraktionen selbst interessieren. Unserer Meinung nach ist es aber ebenso wichtig, einen Blick auf die Versäumnisse während der 18 Monate zwischen Juli 2009 und Januar 2011 zu werfen.Es scheint uns lohnenswert, diesen Zeitraum zu untersuchen, indem die Kontrollmechanismen versagt haben. Warum hat die Polizei die Abhörgeschichte nicht ordentlich aufgeklärt, nicht einmal im Juli 2009? Warum hat es vier Anläufe gebraucht, bevor sie ihren Job ernst nahmen? Weshalb haben leitende Beamte über das, was passiert ist, Falschaussagen gemacht? Wurden sie eingeschüchtert oder bedroht? Warum ist er britische Presserat (PCC) bei dem Versuch, die Wahrheit ans Licht zu bringen, so kläglich gescheitert? Warum gab es ursprünglich einen weit verbreiteten Widerwillen unter anderen Journalisten, sich mit dem Fall zu befassen? Warum musste erst eine amerikanische Zeitung die Bedeutung des Themas erkennen, für das viele britische Journalisten scheinbar blind waren?Mobbing ist immer ein Thema. Doch keiner berichteteUm ein Beispiel zu geben, das bei der Befragung, wie ich glaube, noch nicht angeführt wurde: Kein britischer Nachrichtenredakteur hielt es für interessant genug, dass einem ehemaligen NoW-Journalisten im November 2009 die erstaunliche Summe von 800.000 Pfund Sterling zugesprochen wurde, weil er bei der Zeitung unter deren damaligem Chefredakteur Andy Coulson nach Ansicht eines Arbeitsgerichts einer Kultur des Mobbing ausgesetzt gewesen sein soll.Diese Rekord-Summe und das Urteil gegen den Mann, der kurz darauf als David Camerons Berater durch die Eingangstür von Downing Street No 10 marschieren sollte, hielt niemand für berichtenswert. Dabei ist Mobbing immer ein Thema, egal in welchem Unternehmen: Man hätte fragen müssen, ob die Journalisten bei der Zeitung sich eingeschüchtert fühlten und Dinge gemacht haben, von denen sie wussten, dass sie falsch sind. Mit dem gebotenen Respekt würde ich anregen, die Kommission sollte vielleicht die Frage stellen, ob dies bei der NoW der Fall war, und wenn ja, welche Vorkehrungen in Zukunft bei Zeitungen getroffen werden können, damit Journalisten, die ohnehin schon unter immer größerem Druck und im Kontext finanzieller Unsicherheit arbeiten müssen, noch die Möglichkeit haben, zu entscheiden, was sie mit ihrem Gewissen vereinbaren können und was nicht.Die Antworten auf die Frage, wie mir den Enthüllungen des Abhörskandals umgegangen wurde, gehen jeden etwas an, dem das Wohlergehen der Demokratie am Herzen liegt. Hatten die Leute, inner- und außerhalb des Unternehmens, Angst vor Rupert Murdochs Zeitschriftengruppe News International? War sein Einfluss auf viele Bereiche des politischen und kulturellen Lebens Großbritanniens einfach zu groß? Wie konnte die News Corp ihren kommerziellen, politischen, journalistischen und (wie wir heute wissen) kriminellen Muskel wirksam einsetzen?Verfälscht, ungenau, verzerrtDas zweite Thema berührt interne Praktiken – hierbei geht es um eine aufrichtige Antwort auf die Frage, was Journalismus ausmacht.(…) Der frühere Washington-Post-Kolumnist Davids Broder definierte die Tageszeitung einmal als eine „parteiische, flüchtige, unvollständige, in Teilen zwangsläufig verfälschte und ungenaue Darstellung der Dinge, von denen wir in den vergangenen 24 Stunden gehört haben … verzerrt, obwohl wir uns nach besten Kräften bemühen, grobe Fehler zu vermeiden – die durch den schieren Prozess der Komprimierung entstehen, der es Ihnen ermöglicht, sie in etwa einer Stunden zu lesen“.Diese Passage hat mich 1997 dazu inspiriert, Großbritanniens ersten "Reader's Editor" zu benennen. Wir stellen mit Freude fest, dass seit dem Beginn Ihrer Untersuchung zwei weitere Zeitungs-Verlage sich entschlossen haben, in regelmäßigen Abständen Spalten mit Korrekturen und Berichtigungen auf Seite 2 abzudrucken.Gerne würden wir vor dieser Kommission von denn Erfahrungen berichten, die wir in den fast 15 Jahren gemacht haben, in denen wir diese wirklich unabhängigen Spalten drucken, und welchen Mehrwert sie für die Zeitung und ihre Lesern bedeuten. Diese Form der Regulierung – der Untersuchungsausschuss nannte sie meines Erachtens „interne Regulierung“ – scheint uns der Eckpfeiler eines verantwortungsbewussten Journalismus zu sein. Ihr Einfluss auf die Kultur, die Arbeitsweisen und die Ethik des Unternehmens sind enorm.Ein M für den PresseratWir sind der Ansicht, dass der Journalismus von einem Gedankenaustausch mit anderen Branchen profitieren könnte, die mit vergleichbaren ethischen Dilemmata konfrontiert sind. Der ehemalige Direktor des britischen Nachrichten- und Sicherheitsdienstes GCHQ, Sir David Omand, hat einmal angeregt, dass bei jeder nachrichtendiesntlichen Recherche berücksichtigt werden muss, inwieweit sie die Privatsphäre verletzten könnte, welchen Schaden sie anrichten kann, ob sie dem öffentlichen Interesse dient und verhältnismäßig ist. (...)Wenn Sie beabsichtigen, das System der Presseregulierung einer radikalen Reform zu unterziehen (…) könnte man dem PCC ein M (für Mediation) hinzufügen und ihn als Ausschuss für Pressestandards- und Mediation bezeichnen. Er könnte dann zu einer Schlichtinstanz werden, damit die Leute seltener Gericht gehen müssten, um ihre Auseinandersetzungen mit Zeitungen beizulegen. Das wäre schnell, besser zugänglich und billig. (...) Eine Nachfolgeeinrichtung des PCC könnte auch einen Vermittlungs- und Schlichtungsdienst anbieten, der sich sowohl mit Verleumdungen als auch mit Verletzungen der Privatsphäre befasst.Für beides wäre entscheidend, dass wir uns auf eine praktikable Definition einigen, was im „öffentliche Interesse“ bedeutet. Auf diese sollten wir uns als Branche nicht nur verständigen können - wir sollten auch bereit sind, sie in jedwedem Forum zu verteidigen. (...)Warum durfte Murdoch, was man einem Familienunternehmen aus Kent untersagt?Schließlich sind wir der Ansicht, dass es einen wachsenden Druck gibt, den Rahmen für Pluralität und Wettbewerb zu überprüfen. Erst im vergangenen Monat wurde der kleinen, in Familienbesitz befindlichen Kent Messenger Gruppe untersagt, sieben Titel der Northcliffe-Gruppe zu übernehmen, weil dies den Zeitungsmarkt in East Kent verzerrt hätte. Im Falle von News Corp hingegen schien es bis zur Intervention einer Gruppe von Parlamentariern so, als könne niemand den Konzern davon abhalten, seine bereits beachtliche Dominanz über die britischen Medien zu verdoppeln, indem sie auch noch die 61% von BSkyB erwerben wollte, die ihr noch nicht gehörten.Angst vor dem MarktführerWenn man zu dem Schluss kommt, dass es in der Öffentlichkeit eine echte Angst vor NoW gab – zum Teil, aber nur zum Teil aufgrund dessen, was private Ermittler und kriminelle Gestalten, die von der Zeitung beauftragt wurden, ausgruben – dann ist es wichtig, so schlagen wir jedenfalls vor, einen regulatorischen und juristischen Rahmen vorzugeben, der verhindert, dass Medienunternehmen in diesem Land eine zu große Marktmacht bekommen. (...)Der PCC wurde aus der Haltung heraus geboren, es gebe einen übergeordneten Imperativ, sich auf gemeinsame professionelle und ethische Codes zu verständigen, auf die wir nicht nur Lippenbekenntnisse ableisten, sondern die im Gegenteil alles durchdringen, was wir tun. Nur wenn wir zusammenarbeiten, können wir diejenigen abwehren, die uns wirklich die Hände binden wollen. (...)Die Untersuchung wird in mancherlei Hinsicht zweifellos einige unangenehme Dinge zu Tage fördern. Wir sind uns sicher, dass sie dabei aber immer auch die guten Dinge im Hinterkopf behalten, die Journalisten tun und die mehr denn je beschützt werden müssen. 99 Prozent aller britischen Journalisten haben nicht die leiseste Ahnung, wie man einen fremden Anrufbeantworter abhört. Ihre Arbeit besteht nicht darin, das Privatleben anderer Leute auszuspionieren.Wir hoffen, dass Sie und Ihr Team Möglichkeiten finden werden, das Gute zu unterstützen, das aus dem besten Journalismus erwächst - und die schlechtesten Auswüchse zu roden.