Wird das reichen?

Jemen Nach 33 Jahren an der Macht, Monaten blutiger Straßenproteste und einem Attentat hat der schwer angeschlagene Präsident Ali Saleh seine Abdankung besiegelt

Was genau Saleh veranlasst hat, seinen Rücktritt zu unterzeichnen, ist noch nicht klar. Das grausige Ende Muammar al-Gaddafis in Libyen und internationaler Druck dürften ihm aber geholfen haben, sich zu besinnen. Die Jemen-Expertin Ginny Hill meint, eine im Oktober vom UN-Sicherheitsrat einstimmig verabschiedete Resolution könnte ebenfalls Wirkung gezeigt haben. Darin war Saleh praktisch aufgerufen worden, seinen Posten zu verlassen, indem er gedrängt wurde, einem vom Golf-Kooperationsrat (GCC) entworfenen Übergangsplan zuzustimmen. Des weiteren wurden Berichte über die erreichten Fortschritte im Abstand von jeweils dreißig Tagen gefordert.

Noch nicht ganz

Kaum war der erste dieser Berichte fällig, zeigte Saleh die Bereitschaft, auf sein Amt zu verzichten. Wäre diese nicht geschehen, hätte der Sicherheitsrat wohl begonnen, Sanktionen ins Auge zu fassen und damit angefangen, die Vermögen Salehs und seines Umfelds einzufrieren.
Vor die Wahl gestellt, dies zu vermeiden und in den Genuss von Straffreiheit zu kommen, hat sich Saleh für eine Demission entschieden. Ganz von der Bildfläche verschwunden ist er allerdings trotz seiner Unterschrift noch nicht. Er wird nominell Präsident bleiben, bis ein Nachfolger gewählt ist, während seine gesamten Befugnisse – zumindest theoretisch – auf den Vizepräsidenten übergehen. Darüber hinaus wird gemunkelt, Saleh könnte erneut ins Ausland geschickt werden, um sich weiterer medizinischer Behandlung zu unterziehen, diesmal jedoch in den USA, statt in Saudi Arabien.

Wird das reichen, um die Lage auf den Straßen des Jemen zu beruhigen? Daran lässt sich zweifeln. Vizepräsident Abd al-Rab Mansur al-Hadi ist eine recht schwache Figur, die weder politisch noch beim Militär über eine breite Basis verfügt. Gleichzeitig werden zahlreiche Schlüsselpositionen weiterhin von Verwandten Salehs besetzt, die von dort aus auf sein Geheiß hin die Strippen ziehen können. Sollte Salehs Verwandtschaft wieder für Ärger sorgen, könnte er behaupten, sein Land brauche ihn wieder, weil er der Einzige sei, der seine Familie in Zaum halten könne. Selbst in dieser späten Phase kann ein Comeback-Versuch Salehs nicht ausgeschlossen werden.

Gestundete Wahlen

Geht jedoch alles nach Plan, wird Hadi - bevor dann wahrscheinlich in neunzig Tagen eine Präsidentschaftswahl abgehalten werden soll - die Bildung einer nationalen Einheitsregierung vorantreiben. Statt für eine Atempause zu sorgen, könnte dies leicht zu neuerlichen Machtkämpfen führen, bei denen diejenigen mit Präsidentschaftsambitionen (unter anderem Salehs Sohn Ahmed) um die beste Ausgangsposition rangeln .
Im größeren Kontext betrachtet, verheißt diese Fokussierung auf das Präsidentenamt nichts Gutes, denn was der Jemen eigentlich braucht, ist ein wirkungsvolleres Parlament und einen weniger mächtigen Präsidenten. Im Idealfall wäre vor der Wahl von Salehs Nachfolger eine neue Verfassung installiert worden, die die Macht des Präsidenten einschränkt. Dazu wird es allerdings kaum kommen und ist erst einmal ein neuer Präsident gewählt, wird es sich weitaus schwieriger gestalten, dessen Macht im Nachhinein zu beschneiden.

Die Parlamentswahlen waren derweil ohnehin längst überfällig. Eigentlich hätten sie schon im April 2009 abgehalten werden sollen, damals aber wurde die Legislaturperiode um weitere zwei Jahre verlängert. Im April 2011 wurde wieder nichts daraus - angeblich aus technischen Gründen, die Unruhen auf den Straßen ließen ihre Durchführung aber ebenfalls schwer realisierbar erscheinen. Bleibt festzuhalten, dass der Jemen auch ohne Saleh noch ein Parlament hat, in dem die Partei des nunmehr ehemaligen Präsidenten eine überwältigende Mehrheit auf sich versammelt. Zudem verfügt diese Kammer über kein wirkliches Mandat und nur wenig Legitimität, ist aber trotzdem von der Verfassung damit beauftragt, die Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen zu bewilligen.

Saleh mag sich zurückziehen, sein Regime aber – und alles wofür es steht – bleibt erhalten. Genau das hatten sich die Staaten des Golfkooperationsrates im Grunde von ihrem so genannten Übergangsplan erhofft: Einen Austausch an der Spitze, während darunter alles beim Alten bleibt. Insofern bestehen durchaus Parallelen zu Ägypten, wo der Sturz Mubaraks wichtige Teile seines Regimes unbeschädigt ließ, wie den Demonstranten dort nun klar wird. Für diejenigen im Jemen, die an wirklichen Veränderungen interessiert sind, ist der Kampf längst nicht vorbei.

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Übersetzung Zilla Hofman
Geschrieben von

Brian Whitaker | The Guardian

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