In einer nicht allzu fernen Zukunft wird man auf den Bundespräsidenten Christian Wulff als jenen Politiker zurückblicken, der in einer Mischung aus Amtshybris und irritierender Dummheit laut über das Führen eines „Krieges“ nachdachte, den er bereits verloren hatte. Ein ehemaliger Stadtrat aus Osnabrück, der die Bild über den Rubikon marschieren sah und damit den nächsten Schritt über den eigenen politischen Jordan machte. Ein Jurist, der nicht erkennen wollte, dass er mit der Verhinderung von Berichten über seinen Privatkredit das Erpressungspotenzial derer erhöht hätte, die es schon wussten. Ein CDU-Mann, der zunächst nur deshalb im Schloss Bellevue gehalten wurde, weil weder die Opposition noch die Kanzlerin so schne
Politik : Wulffs Demokratie
Der Kern der Affäre liegt nicht auf der Bild-Mailbox, sondern in Wulffs Nähe zu Vertretern der Wirtschaft. Damit hat der Präsident der Postdemokratie ein Gesicht gegeben
rin so schnell eine machtpolitische Alternative parat hatten. Ein Staatsoberhaupt, das zu Schlagzeilen Anlass gab: „Wulff bekennt sich zur Pressefreiheit“. Was für eine Nachricht!Im Rückblick wird die Affäre Wulff vor allem als ein Problem ihrer eigenen Bearbeitung erscheinen. Man wird daran erinnern, dass der Präsident volle Aufklärung versprach, aber immer nur eingestand, was ohnehin bekannt war. Norbert Lammert wird ein eigenes Kapitel gewidmet sein, weil der Bundestagspräsident die Medien just in dem Moment für ihre Berichterstattung geißelte, als bekannt wurde, dass das Staatsoberhaupt mehrfach in diese eingreifen wollte. Man wird sich dafür interessieren, wie ein Anruf von der Mailbox eines Chefredakteurs ausgewählten Journalistenkollegen zur Kenntnis gelangte. Die Affäre Wulff als Sittengemälde im Zeitalter von Transparenzideal und Medienmacht.Ein Sumpf und seine BlütenUnd doch liegt der Kern der Sache nicht auf dem Anrufbeantworter des Bild-Chefredakteurs, sondern in Wulffs Nähe zu Vertretern der Wirtschaft, in den Vergünstigungen, die der CDU-Mann allein deshalb genoss, weil er ein wichtiges Amt innehatte. Der Freundschaftskredit einer Unternehmerfamilie, die Urlaubsaufenthalte bei einflussreichen Bekannten aus der Finanzwirtschaft und welche Blüten der niedersächsischen Sumpf sonst noch getrieben haben mag. Wulff hat das Darlehen durch einen besonders zinsgünstigen Kredit der BW-Bank zu einer Zeit abgelöst, als die Tochter der Landesbank Baden-Württemberg noch im Einflussbereich seiner CDU-Parteifreunde stand, von denen einer, Günther Oettinger, wie Wulff dem Andenpakt junger Unionspolitiker angehörte.Natürlich ist das alles nicht neu. Vor Angela Merkel stand ein „Genosse der Bosse“ der Bundesregierung vor, der im niedersächsischen Netzwerk ebenfalls gut verdrahtet war. Roland Koch wechselte vom Ministerpräsidentenstuhl zum Baukonzern Bilfinger Berger, der dem CDU-Mann einen Millionenauftrag verdankte. Jürgen W. Möllemann warb auf Behördenpapier für die Einkaufwagenchips seines angeheirateten Vetters. Lothar Späth hatte seine Traumschiff-Affäre, Max Streibl die Amigo-Affäre, Jürgen Rüttgers eine Sponsoring-Affäre. Im Saarland zieht ein FDP-Unternehmer an den Strippen einer Landesregierung, die ohne das Zutun eines Grünen nie zustande gekommen wäre, der Angestellter des Liberalen war. Ein Bremer SPD-Bürgermeister und Aufsichtsratschef der Stadtwerke ließ sich von denen Strom zum halben Preis liefern. Und so weiter und so fort.Manches reichte ins Strafrecht hinein, anderes war „bloß“ politisch anstößig. Es gab Rücktritte und Aussitzer. Die Grenzen zwischen den Formen des Nicht-Legitimen sind fließend, die öffentliche Aufmerksamkeit ist hierzulande größer als anderswo, was einerseits für eine kritischere Sensibilität der Öffentlichkeit spricht. Andererseits aber auch in gewissem Widerspruch zu der Omnipräsenz einer Geschenkökonomie steht, an der nicht nur Politiker und Unternehmer, sondern auch Journalisten teilhaben. Die einen lassen sich zum Politiker-und-Unternehmer-Essen einladen, die anderen profitieren von Rabattmöglichkeiten. Und so weiter und so fort.Gewinnen und verlierenDie Vorsitzende von Transparency International, Edda Müller, wollte sich dieser Tage nicht festlegen, ob die Causa Wulff zu jenem „illegitimen Lobbyismus“ gehört, den ihre Anti-Korruptions-Organisation so oft beklagt. Andere sehen im Vorzugskredit des Präsidenten den provinziellen Sonderfall einer allgemeinen Freunderlwirtschaft, in der materiell gestiftete Beziehungen andere Verfahren der Entscheidung verdrängt haben. Die Linke spricht von einem Beispiel für „die Verfilzung von Politik und Wirtschaft zu einem System gegenseitiger Begünstigung“.Hierin, in der Personalisierung von Zusammenhängen, die sich sonst oft der direkten Erfahrung entziehen – wie war das noch mit der Krise des Kapitalismus?! –, dürfte ein Grund für die Empörung über den Bundespräsidenten liegen. Wulffs Verhalten bestätigt das Unbehagen an einem System, in dem sich die Institutionen von ihrer demokratischen Selbstbeschreibung entfernen, in dem legitime Verfahren durch Abhängigkeiten ersetzt werden, in denen Repräsentanten nicht als Vertreter der Allgemeinheit gelten, sondern als Apparatschiks im Dienste partikularer oder schlicht persönlicher Interessen.Früher hätte man Wulffs Einbettung in „sein“ Netzwerk vielleicht als Beleg für die Theorie vom „Staatsmonopolistischen Kapitalismus“ angesehen, nach welcher der ökonomische Einfluss von Konzernen über direkte Verbindungen immer stärker in die politische Sphäre hineinreicht. Heute fällt einem eher Colin Crouchs Kritik an einer Postdemokratie ein, in welcher der Einfluss privilegierter Eliten, zu denen vor allem bestimmte Unternehmer gehören, das Ideal vom Souverän untergräbt.„Eines der wesentlichen Wesenselemente von Demokratie ist“, hat Wulff zu seiner Wahl 2010 gesagt, „dass man auswählen kann, dass man gewinnen kann und dass man verlieren kann.“ Der Präsident hat die Nähe zu Unternehmerfreunden gewählt und dabei ein paar Zehntausend Euro gewonnen. Verloren hat die Demokratie.