Erinnern verboten

Spanien Der Richter Baltasar Garzón hat Anklage gegen Franco erhoben. Jetzt sitzt er selbst auf der Anklagebank. Alte franquistische Seilschaften machen gegen ihn mobil

No habrá paz para los malvados (Keine Ruhe den Gottlosen), so der alttestamentarisch inspirierte Titel eines unlängst veröffentlichten spanischen Thrillers über Schuld und Vergeltung. Auf die spanische Realität trifft das Diktum freilich weit weniger zu. Dort können sich die Ruchlosen bequem zurücklehnen. Während prominente Korruptionsverfahren zu keinem Ergebnis kommen, muss der Richter Baltasar Garzón, dessen Name auf der ganzen Welt für den Grundsatz der universellen Gerechtigkeit steht, auf der Anklagebank Platz nehmen und sich gleich wegen drei gegen ihn erhobener Anklagen verantworten. Eine Verurteilung würde seiner hyperaktiven juristischen Karriere ein abruptes Ende setzen.

Gigantischer Friedhof

Garzón wird vorgeworfen, eine Untersuchung der 114.000 Morde eingeleitet zu haben, die von faschistischer Seite während des Bürgerkrieges und der Franco-Diktatur danach bis 1975 verübt wurden. Für Außenstehende mag es zunächst verwunderlich erscheinen, dass die Untersuchung dieser 114.000 Fälle in Spanien ein Verbrechen darstellt, aber genau dies ist der Fall. Garzón wird vorgeworfen, das Recht gebeugt zu haben.

Im Namen Hunderter von Angehörigen der Ermordeten ordnete er eine Untersuchung an, um alle jene im ganzen Land verstreuten Toten zu erfassen, die von ihren Exekutoren heimlich verscharrt wurden. Jahrzehntelang hatten die Familien versucht, ihre Toten ordentlich zu begraben und ihrem eigenen Erinnern einen Ort zu geben. Mit der freiwilligen Hilfe von Archäologen konnten einige der Opfer ausfindig gemacht und identifiziert werden. Doch konnte – dank unklarer Gesetze und der feindseligen Haltung vieler Richter vor Ort – nur ein Teil der sterblichen Überreste exhumiert werden. Spanien bleibt somit auch weiter ein gigantischer, von niemandem beachteter Friedhof.

Garzón hatte wohl geglaubt, in seinem Land könnten die gleichen Prinzipien gelten wie in Argentinien oder Chile, wo er an der Untersuchung ähnlicher Verbrechen beteiligt war. Da es sich bei all diesen Fällen stets um einen unnatürlichen Tod handelte, musste das Verfahren eine strafrechtliche Untersuchung einschließen. Das heißt: in Spanien hätte ebenfalls gegen Franco und seine Schergen Anklage erhoben werden müssen. Als Richter Garzón sich anschickte, eben dies zu tun – wenn auch auf rein symbolischer Ebene, da die Täter heute alle tot sind –, wurde er von zwei rechtsradikalen Organisationen verklagt, von denen die eine – Falange Española (Partei der spanischen Faschisten) – für viele der fraglichen Morde verantwortlich zeichnet. Stellen Sie sich vor, Radovan Karadzic würde Den Haag verklagen – und Recht bekommen.

Offene Rechnungen

Dass Garzón sich noch in zwei anderen Punkten verteidigen muss (in einem geht es um einen obskuren Korruptionsvorwurf, im anderen um technische Verfahrensfehler im Umgang mit einem Korruptionsfall) ist der Glaubwürdigkeit der gegen ihn erhobenen Vorwürfe eher abträglich. Dass alle drei Klagen zusammen verhandelt werden, macht die Sache einfach zu verdächtig.

Man darf jedoch daraus nicht den Schluss ziehen, das spanische Justizsystem befinde sich immer noch in den Händen von ultrakonservativen Richtern und Franco-Nostalgikern. Es wäre nur die halbe Wahrheit, denn es trifft nur auf die Hälfte der Justizbeamten zu. Die andere Hälfte hasst Garzón weniger aus ideologischen Gründen: Manche von ihnen hatten schon immer etwas gegen sein Bedürfnis nach Geltung und Prominenz. Außerdem haben ihm sozialistische Politiker nie die Untersuchung der Todesschwadronen verziehen, die von ihnen in den achtziger Jahren aufgestellt wurden, um militante Eta-Separatisten zu eliminieren. Und die Konservativen? Sie tragen Garzón nach, dass er eine Untersuchung gegen ein korruptes Netzwerk innerhalb des derzeit wieder einmal regierenden Partitdo Popular einleitete.

Ich selbst habe Garzóns Selbstgerechtigkeit nie gemocht und traue dem Verständnis von Gerechtigkeit nicht, für das er steht – die Bindung an einen allmächtigen Richter und die Mission dieses Allmächtigen. Ich denke, die Gerechtigkeit sollte durch ein eindeutiges Gesetz gewährleistet werden, und nicht durch die Laune und den Idealismus eines Einzelnen. Dies gilt um so mehr, als Baltasar Garzón jetzt selbst einem uneindeutigen Gesetz und einer Reihe von Richtern zum Opfer fällt, die ihre eigene Mission verfolgen: ihn als Richter kalt zu stellen.

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Miguel-Anxo Murado | The Guardian

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