Die Herstellung ist am Ende wohl einfacher gewesen als gedacht, das Resultat liest sich, wie man es seit Jahren befürchtet hat. Todesrate: 100 Prozent. Ansteckungsrate: extrem. Vermehrung: irre schnell. Die im Labor zusammengebastelte Variante eines Vogelgrippekeims bringt Sicherheitsexperten auf den Plan, es sei eine „Gewissheit“, dass das Virus dem Labor entfleuchen werde, prophezeit ein Fachmann in Nature. „Die Forscher haben ein Virus konstruiert, das wohl die effektivste Biowaffe ist, die wir heute kennen“, kommentiert ein Mitglied mehrerer Biosicherheits-Ausschüsse. „Und die Anleitung für die Konstruktion haben sie gleich mitgeliefert.“ Darf man dieses Protokoll überhaupt publizieren? Muss man es, im Sinne der Forschungsfreiheit
Kultur : Der Vogel mit der Grippe
Neue Super-Viren aus dem Labor werfen eine alte Frage auf: Wer ist gefährdet – die Forschungsfreiheit oder der Mensch?
Von
Kathrin Zinkant
eit? Die Debatte entbrennt, und obwohl sie keinen Konsens generiert, publiziert das Team um den Virologen Jeffery Taubenberger am 7. Oktober 2005 in Science die komplette Anleitung für die Rekonstruktion jenes Vogelgrippe-Virus, das 1918 als Spanische Grippe weltweit bis zu 50 Millionen Menschen tötete. Im Netz steht nun eine Vorschrift für die Reanimation des ausgerotteten Keims. Zwei Monate später wird er für den Paketversand an Labore der zweithöchsten Sicherheitsstufe freigegeben.Dass sich diese Geschichte wenige Jahre später wiederholen würde, war im Grunde absehbar – und trotzdem hat es offenkundig niemand erwartet: Den Redaktionen von Nature und Science jedenfalls liegen derzeit zwei Arbeiten zur Veröffentlichung vor, die jeweils ein experimentelles Verfahren zur Erzeugung hochinfektiöser, extrem aggressiver und in beiden Fällen völlig neuer Vogelgrippeviren vom berühmten Typ H5N1 beschreiben. Und wieder ist eine Debatte um die Frage entbrannt, ob diese Paper in der üblichen Form veröffentlicht werden dürfen.Erste Berichte über die zwei Arbeiten waren dabei schon im vergangenen Sommer aufgetaucht, als die Forscher auf Konferenzen von ihren Projekten berichteten. Doch erst seit Anfang Dezember entfaltet sich nun besagter Diskurs ähnlich jenem um die nachgebastelte Spanische Influenza: Wieder fordern Sicherheitsexperten zum Verschluss der Protokolle auf, weil sie fürchten, dass die Viren aus Labors entkommen oder aber von Terroristen nachgekocht werden könnten. Die meisten Forscher lehnen derartige Maßnahmen konsequent ab, sehen die Freiheit ihrer Arbeit in Gefahr. Was im Vergleich zu 2005 allerdings ein ganz neues Moment in der Debatte darstellt, ist die beispiellose Einmischung des National Science Advisory Board for Biosecurity (NSABB), eines offiziellen Beratergremiums in den USA, das sich nach eigener Beschreibung als institutionelle Aufsicht über den „dual use research“ begreift, jene Art von biologische Forschung also, die zwecks wissenschaftlichem Erkenntnisgewinn legitim ist, aber zugleich Gefahren für öffentliche Gesundheit und Sicherheit generieren könnte.Wie der Teufel mutiertSeitdem es 2004 von der Bush-Administration – als Antwort auf die Anthraxanschläge – implementiert wurde, hat sich das NSABB ingesamt aber nur sechsmal mit riskanten Studien befasst: Wie auch im Fall des Taubenberger-Papers begnügte man sich bis dato damit, dass die Autoren in ihren Veröffentlichungen auf die Bedeutung der Forschung für die öffentliche Gesundheit hinwiesen. Erst im aktuellen Fall, sieht sich das NSABB zum rigorosen Durchgreifen genötig. Noch vor Weihnachten forderte die Kommission, die Arbeiten ohne Methodenteil zu publizieren. Am 30. Dezember schloss sich die Weltgesundheitsorganisation WHO dieser Empfehlung an.Noch sind die Gründe für die Intervention unklar. Einer könnte sein, dass der Erreger, um den es geht, seit Jahren im Fokus der Seuchenbehörden steht: In beiden Arbeiten geht es um Influenzaviren vom Typ H5N1, jenem Erreger, der spätestens seit 2005 global endemisch in Hühnerbeständen zirkuliert und seit 1997 mehr als 500 Menschen getötet hat. Nach wie vor gilt H5N1 als Topkandidat für eine Pandemie vom Kaliber Spanische Grippe – sofern das vom Tier auf Menschen übertragbare und extrem oft todbringende Virus die Fähigkeit hinzugewinnt, auch zwischen Menschen übertragen zu werden. Das ist es nämlich, was der potenzielle Schockerkeim, der sich vor allem in tiefem Lungengewebe vermehrt, noch nicht drauf hat. Aber was wäre nötig, damit H5N1 diese letzte Hürde nimmt?Es ist dies sicher keine Frage von theoretischem Interesse: Forscher weltweit suchen gezielt und mit verschiedensten Mitteln nach Antworten um im möglichen Ernstfall so gut wie es nur geht auf einen übergriffigen H5N1-Erreger vorbereitet zu sein. Entstehen kann der entweder durch die Vermischung bereits vorhandener Stämme mit anderen Grippeviren – oder aber durch eine oder mehrere zufällige Mutationen.Hier setzen auch die beiden umstrittenen Studien an: Ron Fouchier, ein Experte für die Evolution von Grippeviren am Erasmus Medical Center Rotterdam, hatte zunächst versucht, das Virus durch reverse Genetik – die gezielte Veränderung bestimmter Erbgutabschnitte – ansteckender zu machen. „Wir haben H5N1 wie der Teufel mutiert“, sagte Fouchier dem Scientific American bereits im September. Fünf Mutationen reichten letztlich aus, um das Virus auch im oberen Atemtrakt heimisch zu machen, aber hochansteckend wurde es erst, als Fouchier sich überzeugen ließ, „etwas wirklich, wirklich Dummes“ zu tun. Er träufelte das extrem virenlastige Nasensekret von infizierten Frettchen direkt in die Nasen gesunder Tiere. Nach nur zehn Runden war die Crash-Evolution beendet und der Erreger so, wie man ihn jenseits von Hochsicherheitslabortüren hoffentlich niemals vorfindet: übertragbar über die Atemluft und fast immer tödlich.Was aber bedeutet das für die Risikoeinschätzung? Die zitierten Bioterror-Szenarien müssen übertrieben erscheinen. Influenzaviren verändern sich schnell, sind schwer zu kontrollieren und fehlen nicht ohne Grund im „dreckigen Dutzend“ der potenziellen Biowaffen. Unklar ist auch, ob sich das Verfahren von Fouchier so einfach reproduzieren ließe: Die Sache mit dem Nasensekret spricht dafür, dass der Zufall hier eine bedeutende Nebenrolle spielte. Unklar ist auch, was passiert, sollte einer der neuen Keime aus dem Labor ausbüxen. Die Wirkung der neuen Virenstämme auf den Menschen ist unbekannt, sie lässt sich allein vom – bisher allerdings zuverlässigen – Modelltier Frettchen ableiten.Personenkult um ForscherWährend sich der Autor der zweiten Studie, Yoshihiro Kawaoka von der Universität Wisconsin, über seine Arbeit ausschweigt, wird die Debatte vor allem von den betroffenen Journalen vorangetrieben: Wöchentlich berichten Nature und Science über den Disput, in der jüngsten Ausgabe von Science findet sich sogar eine Art vergleichendes Psychogramm von Fouchier und Kawaoka. Ein solcher Personenkult mag die Interessen der beiden Magazine stützen: Wenn sie solch aufsehenerregende Arbeiten nur unter der Willkür offizieller Gremien und mithin als Stummel veröffentlichen können, riskieren sie ein Stück ihrer unangefochtenen Markthoheit.Der harte und schwierige Kern der Aufregung gerät dabei aber mittlerweile an deren Rand: Obwohl die Zahl risikoträchtiger Studien zweifellos zunimmt, existiert trotz vorhandener Ausschüsse nach wie vor kein Konzept, das Forschungsfreiheit und Schutz der Öffentlichkeit miteinander versöhnen könnte. Der US-Politikwissenschaftler John Steinbruner hat das schon vor vier Jahren kritisiert, als er die offiziellen Strukturen analysierte. Insbesondere das NSABB hat Steinbruners Ergebnissen zufolge keine tatsächliche Funktion – außer so zu tun, als habe es eine, nämlich von offizieller Seite den Überblick über riskante Forschungsprojekte zu behalten, was ja die mindeste Voraussetzung dafür sein sollte, Empfehlungen über Publikationsumfänge und Restriktionen auszusprechen. Steinbruner zufolge gibt es diesen Überblick aber nicht. Und der Vorsitzende des NSABB, Paul Keim, der im aktuellen Fall für das Gremium spricht, entgegnete vergangene Woche in Nature, dass „das auch nicht der Job“ seiner Kommission sei.