Wo ist eigentlich die Linke?

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Welche Wirtschafts- und Sozialordnung haben wir eigentlich nach der Krise? Union und FDP sind sich relativ sicher: die Soziale Marktwirtschaft, die sich dann endgültig gegenüber dem Anarcho-Kapitalismus anglo-amerikanischer Prägung durchgesetzt haben wird, ginge es nach der Kanzlerin, gar auf globaler Ebene. Der berühmte Ordnungsrahmen des Staates werde also künftig um die ganze Erde aufgehängt sein, die regelsetzenden Leitplanken für die Märkte den gesamten Globus umlaufen.

Sicher, gegenwärtig noch fahren auch Union und FDP auf Sicht, adaptieren zur Vermeidung der Depression keynesianische Konjunktur- und Investitionsprogramme, stützen oder verstaatlichen hier und da als systemrelevant geltende Privatunternehmen. Jenseits dieser Feuerwehrfunktion des Staates aber wird das bürgerlich-liberale Lager nicht Müde seine zentrale Botschaft auch in der Systemkrise zu verkünden: der Markt allein garantiere den „Wohlstand für alle“, solange der Staat sich aus den Marktprozessen heraushält und klare Regeln vorgibt, die seine Ergebnisse auf das Wohl der Allgemeinheit lenken.

Auch wenn diese Erzählung des perfekten Zusammenspiels zwischen dem Privaten und dem Staatlichen nur ein Versprechen ist, dass sich bisher einzig in einem sehr kleinen Teil der Welt und da auch nur in einer relativ kurzen Phase seit dem Krieg eingelöst hat, so kann sie doch zumindest solange funktionieren, solange sie eben ein Versprechen bleibt und etwa ausblendet, dass von den 6,75 Milliarden Menschen auf dem Globus heute bereits zwei Milliarden Menschen überhaupt nicht mehr in funktionierenden staatlichen Strukturen leben, sehr wohl aber in zum Teil barbarischen globalisierten Marktverhältnissen. Bereits jetzt haben sich ein Viertel aller Staaten auf der Welt aufgrund der Krise politisch destabilisiert.

Aber die Erzählung funktioniert. Die Umfragewerte der Parteien in der Krise zeigen eindeutig, dass das Herunterbeten von einigen Leitsätzen Ludwig Erhards aus den 50er Jahren hierzulande immer noch als Ausweis von Wirtschaftskompetenz gilt. Im linken Lager hingegen herrscht nicht nur kommunikativ sondern auch konzeptionell das blanke ordnungspolitische Chaos. Eine große Erzählung, wie die des wundersamen Ausgleichs zwischen Privat- und Staatsinteressen, gibt es dort jedenfalls nicht. Seit dem Zusammenbruch des Realsozialismus hat man es dort schlichtweg versäumt konzeptionell eine Wirtschaftsordnung jenseits des gleichermaßen gescheiterten Kapitalismus wie Sozialismus zu formulieren.

In Zeiten, in denen die bürgerlichen Parteien ganz pragmatisch keynesianische Programme fahren und Gesetze zur Bankenverstaatlichung auf den Weg bringen, sieht sich die Linke gar selbst im politischen Normalvollzug ständig in der Defensive. Der globale Kapitalismus legt der politischen Linken einen Elfmeter nach dem anderen auf den Punkt. Diese jedoch jagt diese stets zielsicher in die Wolken, weil sie selbst nicht mehr daran glaubt das Spiel zu gewinnen. Die universelle „Plusmacherei“ (Marx) ruiniert das globale Klimasystem und plündert den Planeten, der Hunger in der Welt nimmt dramatische Ausmaße an, Staaten stehen vor dem Bankrott und die nächsten Ressourcen- und Klimakriege sind vorprogrammiert. Doch die Linke scheut sich zu sagen: “Weg mit dem Kapitalismus!“, weil sie die dann kommende Frage nicht mehr beantworten kann oder will: „Was dann?“

Darum will sie vielleicht noch regieren, aber auf keinen Fall mehr die Machtfrage stellen. Nicht nur, weil sie keine Antwortet mehr hat, sondern weil man sich nicht einmal mehr auf die Fragen einigen kann, die jetzt zu stellen sind. Damit arbeitet das linke Lager unbewusst an dem mit, was Colin Crouch kürzlich „Postdemokratie“ genannt hat. Die Verwaltung einer scheinbar alternativlosen Wirtschafts- und Sozialordnung überlässt man dem anderen Lager, zumindest bei SPD und Grünen mit der Hoffnung versehen, ab und an ein wenig Regierungsbeteiligung mit zu erheischen. Die kürzlich aufgekommene Diskussion bei SPD und Grünen über eine Koalitionsaussage zugunsten einer Ampel soll so zumindest noch den Anschein erwecken, es gäbe eine ernsthafte Alternative zu Schwarz-Gelb und zur ungeliebten großen Koalition. „Das begeistert keinen Grünen, aber es ist, wie es ist“, wird Jürgen Trittin diesbezüglich zitiert. Resignativer lässt es sich die notorische Antwortlosigkeit der Linken nun wirklich nicht mehr ausdrücken.

Nicht anders sieht es bei den Globalisierungskritikern von Attac aus. Ihre Forderungen nach Regulierung der Finanzmärkte und dem Schließen der Steueroasen stehen mittlerweile selbst bei konservativen Regierungschefs von Merkel bis Berlusconi auf dem Programm. Der jüngst von Attac anberaumte Kapitalismus-Kongress bringt es im Titel gerade mal auf eine schüchterne Frage: „Kapitalismus am Ende?“ Das einstige Aushängeschild Sven Giegold ist zu den Grünen gewechselt und vertritt dort erstaunlich stringent einen ökologisch gewendeten Keynesianismus, ohne allerdings Keynes’ letzte Konsequenz aus der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre zu ziehen, „eine ziemlich umfassende Verstaatlichung der Investition“ und den „sanften Tod des Rentners, des funktionslosen Investors“.

Ganz allmählich sollte sich die Linke mit einem alles andere als erfreulichen Gedanken anfreunden, mit dem, dass sie sich zu lange zu wenige Gedanken über die Verfassung und die Zukunft der Demokratie und des Staates gemacht und zu wenig mit der Widerlegung der These des vermeintlich notwendigen Zusammenhangs von Kapitalismus und Demokratie beschäftigt hat. Eine demokratische Regulierung des globalisierten Kapitalismus wird und kann es nicht geben, eine solche scheitert allein am Problem der Repräsentanz und Transparenz bei derartig weltumfassenden Strukturen. Und dass der autoritäre Staatskapitalismus Chinas der bei weitem dynamischste ist und auch als der große Gewinner aus der Krise hervorgehen wird, zeichnet sich bereits jetzt deutlich ab. Jetzt rächt es sich, dass die linken Parteien es nahezu vollständig versäumt haben, linke Theoriediskurse aufzugreifen, zu führen und in neue politische Begriffe und Projekte zu übersetzen und sich stattdessen allzu willfährig in einen politischen Normalvollzug eingeordnet haben.

Sozialdemokraten, Sozialisten und Grüne haben so die Diskurshoheit über das, was Globalisierung genannt wird, schon lange an die neokonservativen und wirtschaftsliberalen Parteien abgegeben. Dementsprechend wirkt die aktuelle Krise des globalen Kapitalismus wie ein Vergrößerungsglas, in dem sich die Krise der Linken deutlicher denn je zeigt. Ihre Programmatiken sind Sammelsurien geworden, ohne Prinzipien und klare Linien, ohne den Blick fürs Ganze und Orientierung, ohne Utopie. Ihre Verantwortung für die Übernahme des Erbes von Humanismus und Aufklärung scheitert oft allein schon daran, dass sie dieses Erbe gar nicht mehr kennen und so an ihm arbeiten können. Der Parteinachwuchs wird unvermittelt in einen scheinbar alternativlosen Politbetrieb geworfen, ganz so, als ob Fukuyamas These vom Ende der Geschichte, bei aller rhetorischen Ablehnung, dann doch stillschweigend akzeptiert würde.

Das Theoriedefizit der Linken droht ihr zum Verhängnis zu werden, da eine politische Praxis ohne Theorie blind ist, reaktiv und rein defensiv. Aus Mangel an Begriffen steht sie in der Gefahr, die Welt nicht mehr zu begreifen. Dabei ist es ja keineswegs so, dass diese Begriffe fehlen würden. „Postfordismus“, „Empire“, „Multitude“, „sozialer Lohn“, „Biopolitik“, „immaterielle Arbeit“, „Weltbürgerrecht“, „Wiederaneignung“, „absolute Demokratie“ – allein diese Begriffe aus Michael Hardts und Antonio Negris Weltbestseller Empire von 2000, das schon als das „kommunistische Manifest für unsere Zeit“ bezeichnet wurde, würden einen vollkommen neuen Horizont linker politischer Theorie und Praxis eröffnen. Aber welcher linker Politiker würde sich schon gerne heute noch als „Kommunist“ bezeichnen lassen? Und so vergessen sie schlichtweg ihre Aufgabe, eben die, zu definieren, wo noch die emanzipatorischen Horizonte liegen, um jene großartige Utopie aus dem ersten kommunistischen Manifest von 1848 Wirklichkeit werden zulassen, worin es heißt, dass eine
Gesellschaft anzustreben sei, „worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist.“ Und welche Linke ist es eigentlich noch Wert so genannt zu werden, die derart ängstlich ihre Wurzeln leugnet?

Stattdessen treibt die Linke gegenwärtig auf ein Versagen historischen Ausmaßes zu. Sie überlässt nicht nur die Definition des Kommunismus, sondern auch die von Freiheit und Demokratie gänzlich denjenigen, die sich gerade anschicken, diese endgültig abzuschaffen und ihre jetzige Niederlage damit in einen endgültigen Sieg zu verwandeln, in dem sie den gescheiterten Laissez-faire-Kapitalismus in eine autoritären transformieren, in ein Kommando- und Kontrollregime, dessen einzige Grenze dann nur noch die des Wachstums sein wird. Darum geht es jetzt gar nicht um die Auswüchse des Kapitalismus, es geht um ihn selbst und um seine kommende Verfasstheit als globales und zerstörerisches Herrschaftsprinzip um seiner selbst Willen, ohne irgendeine systemimmanente Rückbindung an natürliche oder kulturelle Überlebensbedingungen der Gattung. Und so wird er Herr der Welt sein, weil er diese zerstören kann.

Die Politik übernimmt gegenwärtig eben nicht wieder das Ruder, sie scheitert gerade in ihrer aktuellen Verfasstheit indem sie die gesellschaftliche und ökonomische Zukunft der Staaten, die sie repräsentiert, zur Rettung des bankrotten Systems an dieses verpfändet. Damit scheint der Weg vorgezeichnet. Aus der Weltwirtschaftskrise werden Legitimationskrisen in den repräsentativen Demokratien hervorgehen, spätestens dann, wenn sie „ihren“ Bürgern die Rechnungen präsentieren und sich eingestehen muss, dass das system- also nur selbstrelevante Kapital eben nur Rechnungen schreiben aber keine einzige begleichen kann. Darum sollte sich die Linke jetzt möglichst rasch Gedanken darüber machen, wie die augenblicklichen Zweifel und der Widerstand in eine wirksame Gegenmacht umgewandelt werden können, wie eine wirklich demokratische Legitimation einer neuen Wirtschafts- und Sozialordnung nach dem Kapitalismus gefunden werden kann. Das neue Ziel der Linken ist daher in der Tat die absolute Demokratie.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Robert Zion

Gruenen-Politiker, Publizist

Robert Zion

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