Aigner im Glück

Scheingefechte Die Verbraucherschutzministerin kann Facebook und Google für ihre Datenpannen fast dankbar sein: Wer solche Gegner hat, braucht keine Freunde mehr

Es ist nicht Ilse Aigners Schuld, dass in Deutschland kaum jemand ­etwas über sie weiß. Denn man kann ja alles im Internet nachlesen. Mit Angaben über sich ist die Verbraucherschutzministerin und Förderin der ­Jugendschutzkampagne „Watch your Web“ alles andere als sparsam. Wer sich zehn Minuten Zeit zum Surfen nimmt, erfährt zum Beispiel, dass die CSU-­Ministerin Mitglied von vier sozialen Netzwerken ist, die allesamt von der Stiftung Warentest Mängel bescheinigt ­bekommen haben. Der erfährt auch, dass die 45 Jahre alte Elektrotechnikerin gern ­Wikingerdörfer besucht, sich ­Sorgen um die Sicherheit deutscher Schwimmer und den Frohsinn von ­Karnevalisten macht sowie aktiv einen „Hagelforschungsverein“ unterstützt.

Aigner ist zwar schon 2008 als Nachfolgerin von Horst Seehofer ins Amt ­gekommen, der damals in Bayern als ­Ministerpräsident einspringen musste. Wie blass sie dennoch in ihrer ersten Amtsperiode blieb, zeigt sich schon ­daran, dass ihre innovativste Aktion ein einstündiger Chat mit Internetnutzern zum Thema Datenschutz war.

Seit dem Wechsel zur schwarz-gelben Koalition will sie das offenbar ändern. Aigner hat einen offenen Brief an Facebook-Gründer Marc Zuckerberg geschrieben und angekündigt, ihr Konto zu löschen, wenn das Unternehmen seine Datenschutz-Richtlinien nicht nachbessert. Auch Google drohte sie mit einer Klage, weil das Unternehmen zugeben musste, dass seine Street-View­ Autos unverschlüsselte Funknetze von Privatleuten belauscht und die Daten gespeichert haben. Herausgefunden hat das zwar der Hamburger Datenschutzbeauftragte, aber Aigner hat bemerkt, dass sie mit Angriffen auf die Netzgiganten positive Schlagzeilen und Twitter-Nachrichten produzieren kann.

Gefahrloser Kampf

Aigner kann den beiden US-amerikanischen Unternehmen fast dankbar sein für ihre fehlende Sensibilität gegenüber dem europäischen Verständnis vom Schutz der Privatsphäre. Sie hat in ihnen Gegner gefunden, mit denen sie sich als Kämpferin für den Datenschutz inszenieren kann, ohne dass es sie etwas kosten würde.

Schließlich hätte es die Politikerin in der Hand, den miserablen Umgang mit persönlichen Informationen in sozialen Netzwerken oder bei Google zu ändern. Zum Beispiel, indem sie ein Gesetz auf den Weg bringt. Vorschläge dafür gibt es ja, etwa den Datenbrief, wie ihn Datenschutz-Aktivisten seit einiger Zeit fordern. Laut dem Plan sollen Unternehmen ihren Kunden einmal jährlich schriftlich mitteilen, was sie von ihnen wissen. Für viele Firmen würde das ­Kosten verursachen, was durchaus im Sinne der Erfinder ist: Der Datenbrief setzt einen wirtschaftlichen Anreiz, ­Daten nur dann zu speichern, wenn es unbedingt notwendig ist. Für Google und Facebook wäre ein solches Gesetz ein schwerer Schlag, denn bei gut vernetzten Dauernutzern wie Ilse Aigner müsste der Brief wohl mehrere hundert Seiten lang sein. Das könnte die Unternehmen zwingen, sich vom deutschen Markt zurückzuziehen. Das spricht vielleicht nicht für die Praktikabilität des Plans, verdeutlicht aber das Ausmaß des Problems.

Aigner weiß, dass effektive Regeln für sie nicht so gefahrlos wären wie ihr ­Wettern gegen die US-Giganten. Dann nämlich müsste sie eingestehen, dass selbst die deutschen Pendants, mit ­denen ihr Ministerium kooperiert, oft ebenso schlecht beim Datenschutz ­abschneiden wie etwa Facebook. Die ­Herausforderungen, die das Web 2.0 für die Bürgerrechte stellt, lassen sich nun mal nicht allein durch Twitter- Einträge und Boykottaufrufe in den Griff bekommen. Sie erfordern politisches Verständnis und Handeln. Irgendwann war das doch auch einmal die Aufgabe von Politikern.

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