Bärbel Bohley Weggefährten und Zeitgenossen trafen sich am Wochenende in der Berliner Akademie der Künste, um von Bärbel Bohley Abschied zu nehmen, von der Frau wie der Widerständlerin
Sie lächelt so entrückt wie ein junges Hippiemädchen. Auf dem schwarz-weiß-Porträt, dass an der Eingangstreppe aufgebaut war, klebte eine weiße Blume.
Wer am Samstagabend an der Gedenkfeier für die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley in der Akademie der Künste am Pariser Platz teilnahm, bekam eine Postkarte mit einer Grafik der Malerin Bohley in die Hand gedrückt, darunter eine Zeile aus einem Rilke-Gedicht: Du bist der Vogel, dessen Flügel kommen, wenn ich erwachte in der Nacht und rief.
Die Robert-Havemann-Stiftung hatte eingeladen und etwa 400 Leute kamen, manche verfolgten draußen per Public Viewing, was im Saal geschah Neben Bohleys Sohn Anselm, ihrem letzten Ehemann Dragan Lukic, Ulrike Poppe, Katja Havemann, Lilo Fuchs, Maria
avemann, Lilo Fuchs, Marianne Birthler, Renate Künast, Jens Reich und Wolfgang Templin waren weitere Freunde und alte Mitstreiter gekommen. Die Kinder vom Herbst’ 89, deren Haare längst ergraut sind.Warum es Menschen gebe, die noch in der DDR bleiben wollen, ertönte eine männliche Stimme vom Band. „In ihnen steckt ein kleiner Traum, der, sich selbst zu verwirklichen“, antwortete Bohley dem westlichen Journalisten 1988. „Das kann man bei uns nun mal besser als bei Ihnen“. Es wirkte jetzt naiv.Akademie-Präsident Klaus Staeck begrüßte und sagte, er hätte Bohleys Zähigkeit bewundert. Dann spielten die Musiker auf der kleinen Bühne Balkanmusik.Katrin Saß, die Schauspielerin, die aus der DDR stammt, sagte, sie habe Bohley immer aus der Ferne begleitet, sie sei „gerührt, stolz und dankbar, nun einige Texte von dieser großartigen Frau zu sprechen“ und las den Abend über immer wieder Bohley-Zitate.Zehn Redner traten nacheinander auf, die in verschiedenen Lebensphasen mit Bohley zu tun hatten und nun ein Bild der Frau zeichnen wollten, nicht nur der Widerständlerin."Wo bist Du?"Die Künstlerin Hannelore Offner berichtete von der Malerin, die auch das Ikarus-Motiv wählte und die es kaum scherte, dass vielen ihre Bilder zu düster und zu hässlich waren. Bärbel sei nach einer Reise nach Mexiko, bei der sie auch das Haus von Frida Kahlo besucht hat, mit „grandiosen Farberlebnissen“ wiedergekommen.„Sie hatte eine Badewanne, ich ein Telefon, das passte gut“, skizzierte Irena Kukutz, eine Kommilitonin aus dem ersten Studienjahr, alltägliche Verbindungen. Sie beide fingen an, ihre verwahrlosten Hinterhöfe zu fotografieren, Bilder an Zeitungen zu schicken und die Höfe dann eigenständig zu begrünen. Einmal wunderte sich Bohley, dass die Stasi denselben Fußbodenbelag hatte wie sie, ihre Freundin Irina.Als Kind in den Trümmern von Berlin groß geworden, hätte sich immer geschämt für Dinge, die sie nicht getan hat, sie sei dann „innerlich Rot geworden“, erzählte Heidi Bohley, eine Verwandte. Als Erwachsene hätte sie nie gezeigt, wenn sie verzweifelt war oder trübsinnig. „Dunkle Stunden waren für sie etwas sehr Privates“.Eine Leinwand fällt herunter, auf die Bilder aus Bohley Leben projiziert werden, der Silly-Song „Wo bist Du“ erklingt. Man sieht sie im Volk auf der Straße, bei der großen November-Kundgebung von 1989 auf dem Alexanderplatz, bei heftigen Diskussionen, ob die PDS eine linke Partei sei und als Tracy Chapman „Talking about a revolution“ singt, wenn auch nicht live, kriegt man ein bisschen Gänsehaut. Das Gefühl, das alles möglich sein könnte, der realisierbare Traum von der besseren Welt, das alles scheint weit weg.Andere Bilder zeigen Bärbel Bohley mit längeren Haaren und Ohrringen, sie sah femininer aus und gelöster, seit sie in Sarajewo lebte, in ihrem Haus am Meer, immer umgeben von vielen Kindern. Sie war jetzt einfach nur eine Frau, die helfen konnte."Aus mir wird nie so'n Medientyp"Franziskanerpater Mirko Maijdandizic kam aus Bosnien-Herzegowina um daran zu erinnern, dass Bohley es mit ihrem Mann, einem Bauunternehmer, geschafft hatte, Kriegsflüchtlinge wieder nach Hause zu holen, indem sie Dächer für den Wiederaufbau der Häuser organisierte. Die Armenküche, die sie in Sarajewo gegründet hat, existiere noch immer.Man sieht dann Bilder von Talkshows, 2004 saß sie mit Helmut Kohl im Fernsehen, dabei hasste sie solche Auftritte. Ein anderes Interview musste sie immer wieder lachend unterbrechen, sie sei so aufgeregt, „aus mir wird nie so’n Medientyp“ sagte sie entwaffnend. Sie hat es gar nicht erst versucht.Peter Grimm, einer der jüngsten Mitgründer der Initiative für Frieden und Menschenrechte sei beeindruckt gewesen, dass Bärbel mit Picknickkorb zu manchen Behörden gegangen ist, und wegen der langen Wartezeit im Amt frühstückte. Grünen-Fraktionsführer Lukas Beckmann begegnete Bohley 1983, ihr hätten Tränen in den Augen gestanden als sie die riesigen Schnellkopierer bei den Grünen gesehen hat. Sie war dann drei Tage mit Petra Kelly und Gert Bastian in Paris, Silvester '89 feierten sie zusammen in Prag.Der Biologe und Bürgerrechtler Jens Reich stellte die „historische Figur“ Bohley – etwas gewagt - in eine Reihe mit Lech Walesa, Vaclav Havel und den Novelpreisträger Andrei Sacharow, „dabei war sie so unpolitisch“. Er hätte ihre „knappen Aphorismen“ bewundert, wie: Das Volk ist verrückt geworden – die Regierung hat den Verstand verloren. „Damals waren die Leute zu begeistern, heute würden sie weghören“, sagte Reich noch, ein wenig nostalgisch. Sie sei in ihrem Aufbegehren auch die „Prinzipalin einer großen Theaterinszenierung“ gewesen."Eine, die in Bildern und Gesichtern dachte"Dass Bohley nicht nur eine mutige Heroin war, sondern auch ein mitunter schwieriger Mensch, erfuhr man erst in der letzten Rede. „Sie war eine Revolutionärin ohne Theorie“, chaotisch und „eine, die in Bildern und Gesichtern dachte“, begann Klaus Wolfram vom BasisDruck Verlag, der sich immer wieder mit Bohley stritt, wie die Rolle der Bürgerrechtler in den Wendejahren nun eigentlich zu deuten sei und wofür sie heute gut sein könnten. Manchmal sei sie „hart“ gewesen, „wütend und zerstörerisch, auch unter Freunden“. Einige im Raum nicken. Aber „das, was gerade in Stuttgart geschieht, wäre ihre Einheitsfeier geworden“, rief er dann kämpferischer, „eine breite Bürgerbewegung, da hätte sie mitgetan“. Langer Applaus.Dann strömten alle zum Büffet, die früheren Revolutionäre klopften sich auf die Schulter, manche hatten sich seit Jahren nicht gesehen, Renate Künast wirkte etwas verloren unter ihnen. Eine unscheinbare Frau mit grauem Zopf und Tuch um den Hals, sagte leise, sie sei Bohleys Nachbarin gewesen, beide hätten oft kleinere Projekte zusammen gemacht. Aber nun seien die Menschen ja so vereinzelt.Im Zwischengeschoss spielte Musiker Conny Bauer Saxophon, Anselm Bohley stand da und lauschte lange dieser Musik, die so experimentell klang, wie seine Mutter gelebt hat.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.