Natürlich gibt es einen Ausweg aus der Euro- und Währungskrise. Aber ganz am Anfang dieses langen Weges steht eine intellektuelle Herausforderung, der offenbar weder Finanzminister Wolfgang Schäuble noch EU-Sparkommissar Olli Rehn gewachsen sind: Man darf vor lauter Eurobonds, Zinsspreads und Target-Salden nicht vergessen, dass es zwischen der realen Welt der Güterströme und der Sphäre der Finanzen einen engen Zusammenhang gibt.
Um gleich mit der „Transferunion“ ins Haus zu fallen: Die gibt es in der realen Wirtschaft schon lange. Deutschland, Holland, Belgien und Österreich liefern den Südländern jährlich für 180 bis 200 Milliarden Euro Waren und Dienstleistungen, für die sie finanzielle Gegenleistung verlangen –
en – Bargeld, Bankkredite und zunehmend auch Regierungsanleihen.Eine ähnliche Transferunion existiert zwischen den USA und China. Die Machthaber in Peking sind daran interessiert, das eigene Volk mit billigen Exporten „in Arbeit zu bringen“. Dabei entstehen riesige Exportüberschüsse. Die entsprechenden Guthaben haben inzwischen die Summe von 3.000 Milliarden Dollar überschritten. Dass diese weitgehend wertlos sind, ist in diesem Falle unerheblich: In China gibt es keine privaten Banken, die wegen fauler Kredite pleite gehen könnten.In Europa ist das anders. Während die Bürger die reale Transferunion still erdulden oder gar stolz sind, „Exportweltmeister“ zu sein, ahnen die Finanzmärkte, dass die Forderungen in ihren Büchern wertlos sind. Deshalb gibt es jetzt dieses Gerede von der „Transferunion“. Gemeint ist der Versuch, die Guthaben, die aus der real existierenden Transferunion entstanden sind, zu vergemeinschaften. Letztlich liefe das allerdings auf eine staatliche Exportfinanzierung und damit auf eine Verstaatlichung des Kreditwesens hinaus – genau wie in China. Die reale Transferunion könnte so beliebig verlängert werden.Wer das nicht will, muss das Übel bei seiner Wurzel packen – und die reale Transferunion beenden. Konkret heißt das: Die Defizitstaaten müssten Leistungsbilanzüberschüsse erzielen, um mit dem Erlös die Außenschulden abzutragen. Einen anderen Weg gibt es nicht. Die Rückzahlung von Schulden ist eben nicht bloß ein finanzieller Vorgang, sondern sie hat auch etwas mit Warenströmen zu tun. Umgekehrt müsste Deutschland Leistungsbilanzdefizite hinnehmen.Buchhalterisch ist dieser Zusammenhang zwingend. Doch ergibt sich daraus allein noch keine zwingende Handlungsanweisung. Verschiedene Optionen sind denkbar. EU und Internationaler Währungsfonds aber packen das Übel nur beim Symptom – den steigenden Zinsen der Staatsanleihen von Griechenland, Portugal oder Italien.Das Rezept lautet: Staatsausgaben und Löhne senken, bis die „Kapitalmarktfähigkeit“ wiederhergestellt ist. Im Falle von Griechenland sollte dies bis 2012 der Fall sein. Passiert ist stattdessen dies: Die erzwungene Senkung der Löhne und Staatsausgaben hat den einheimischen Konsum um rund 40 Prozent gegenüber 2007 gesenkt. Damit ist Griechenland hart bestraft. Die Bild-Leser mag dies freuen. Doch für die Gläubiger ginge die Rechnung erst dann auf, wenn die frei gewordenen griechischen Kapazitäten in der Exportindustrie eingesetzt würden.Davon kann aber keine Rede sein. Griechenland ist weit von den Export-Überschüssen entfernt, die nötig wären, um auch nur die Zinsen zu zahlen. Und weil die Wirtschaft dramatisch schrumpft, steigt auch das griechische Staatsdefizit weiter. Das EU-Sparprogramm macht das Land nicht exportfähig, sondern kaputt. Intelligente Ökonomen haben diese Entwicklung vorhergesehen. Denn man kann die Wirtschaft eines Landes nicht in kurzer Zeit von Import auf Export umprogrammieren. Außerdem können Ungleichgewichte zwischen Ländern und Regionen nur überwunden werden, wenn die Überschussländer deutlich mehr konsumieren und importieren. Deutschland ist dazu offensichtlich nicht bereit. Das beweisen etwa die Umsätze des Einzelhandels, die auch 2011 nicht über denen von 1995 liegen.Dabei sparen weder die Haushalte noch der Staat mehr als damals. Das Problem liegt vielmehr bei den stagnierenden Lohneinkommen, den sinkenden Gewinnsteuern und entsprechend explodierenden Unternehmensgewinnen. Diese waren und sind jedoch nur möglich, solange Griechen, Spanier, Italiener und Franzosen deutsche Waren auf Kredit kaufen und so die Zeche zahlen. Deutschlands Unternehmen haben diese Transferunion erzwungen.Damit ist auch schon gesagt, dass es nur einen Weg gibt, die Transferunion und die wirtschaftliche Stagnation der Euroländer zu überwinden: Die Kaufkraft muss zu den Haushalten und zum Staat zurücktransferiert werden, denn nur dort entstehen neue Jobs. Seit 1991 wurden in Deutschland 1,9 Millionen neue Jobs in den Bereichen Gesundheit und Erziehung geschaffen. In allen anderen Bereichen gingen dagegen 300.000 Arbeitsplätze verloren. Das entspricht dem Trend in fast allen Industrieländern.Zurzeit geschieht genau das Gegenteil von dem, was nötig wäre. Die EU willl den Staatssektor „gesundschrumpfen“, und spart sich damit von den Rändern her kaputt. Angefangen hat es in Griechenland, Portugal, Spanien, Italien. Am Ende wird es aber auch Deutschland treffen.